Das Netz ist das, was Du draus machst

Internet und Gesellschaft, re:publica Berlin

#rp14 – meine liebsten Sessions

Hier sieht man den Hof der Station in Berlin, von oben fotografiert. Die re:publica hat hier stattgefunden.

re:publica!!! Wieder zurück aus Berlin, frage ich mich, wie ich jemals die vielen Eindrücke einigermaßen geordnet und nachvollziehbar aufschreiben soll. Was mir dabei klar wurde: Ein Blogpost wird dafür auf keinen Fall reichen. Daher verblogge ich heute zunächst einmal meine re:publica-Highlights, um Euch eine Orientierung zu geben, welche Talks sich zum Nachschauen und -hören in meinen Augen auf jeden Fall lohnen. Allgemeine Eindrücke, Fazit, schöne Zitate und Links folgen als separater Blogpost in den nächsten Tagen.

Die Reihenfolge ist willkürlich.

Gleich nach der sehr viel ernsteren re:publica-Eröffnung in diesem Jahr besuchte ich die Session Überwachung macht impotent von Friedemann Karig. Friedemanns These: „Wir brauchen neue Narrative für die Überwachung, der Mist von Datenschutz und gläsernem Bürger führt ins Leere, schafft keine Bilder mehr, provoziert kein Umdenken und erst recht keine Aktion“. Dass wir mehr Aktionismus und Aktivismus brauchen, zog sich als roter Faden durch die diesjährige re:publica, und allein aus diesem Grund war die Session als Einstieg optimal. Darüber hinaus rockte Friedemann Karig die Bühne. Wo hat der Mensch nur gelernt, solche Vorträge zu halten? Klare Nachguck-Empfehlung für diese Session, und für das Weiter- und Mitdenken an neuen Narrativen gegen die Überwachung. „Impotent“ macht symbolhaft deshalb Sinn, weil es auch „ohnmächtig“ heißt. Wir sind ohnmächtig im Sinne von handlungsunfähig, und das einzige, was wir derzeit haben, sind Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.

Die Session Programmieren für Nullcheckerbunnies von Anne Schüssler und Kathrin Passig platzte aus allen Nähten – was für viele der diesjährigen Talks galt. Kathrin Passig erläuterte schon zu Beginn der Session in ihrem trockenen Humor, dass die Folien der Session größtenteils aus Bildern von niedlichen Tierbabies bestünden, damit wir – das Nullcheckerbunny-Publikum – in Zukunft positiv auf das Thema Programmieren konditioniert würden. Ich werde in Selbstbeobachtung überprüfen müssen, ob das Vorhaben funktioniert hat. 🙂 Die beiden Vortragenden, die durch zwei Gebärdensprachdolmetscher unterstützt wurden, gaben einen guten Überblick über die aktuellen Programmiersprachen, erklärten wichtige Befehle und ihre Funktionen, verlinkten coole Internet-Angebote und vor allem: ermutigten die Anwesenden, das Ganze einfach mal ergebnisoffen zu versuchen. „Irgendwo muss man halt anfangen“: ihr Fazit zum Einstieg in das Programmieren. Sehr hörens- und sehr ausprobierenswert.

 

Die Göttinger Literaturwissenschaftlerin (Hallo, Alma mater!) Elisabeth Michelbach hielt einen Vortrag zu Tod und Geburt der Gegenwartsliteratur im Internet, den ich vor allem den Menschen in der Schnittmenge Literatur(wissenschaft) und Internet ans Herz legen möchte. Es stellt in meinen Augen eine besondere Herausforderung dar, aus einem rein akademischen Kontext wie der Göttinger Literaturwissenschaft auf die re:publica zu fahren und den Spagat zwischen  rp-Lockerheit und wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit zu schaffen. Elisabeth hat das toll gemeistert und gezeigt, inwiefern Blogs bestimmte Funktionen des Romans übernehmen – und weshalb der Gegenstand, um den wir uns in schönster Regelmäßigkeit Sorgen machen, auch im Digitalen keineswegs gestorben ist.

Den Talk von Teresa Bücker Burnout and Broken Comment Culture über “Activists Burnout” muss ich vermutlich nicht gesondert empfehlen. Teresa zeigte, inwiefern der Online-Aktivismus Menschen, die sich engagieren, aufreiben kann, und wie wir vielleicht alle unseren Umgang mit einander verbessern können. Ihren Einstieg in den Talk: „Online-Aktivismus ist real, und was da passiert, passiert realen Menschen“ fand ich vor allem deshalb so treffend, weil Sascha Lobo diesen Punkt in seiner Rhetorik am Vorabend unterschlagen hatte. Aber zu Sascha im späteren Blogpost ein paar Sätze.

Positiv, und ich meine wirklich positiv überrascht war ich von Yasmina Banaszczuks Talk Get real, Netzgemeinde. Ich lese Yasminas Blog mitunter recht gerne, finde es allerdings sehr anstrengend, ihr beim Twittern zuzusehen. Nachdem ich ihren letzten Artikel im Stern las, dachte ich: Nöö, den Talk sparst Du Dir, am Ende regst Du Dich auf. Aber was Yasmina in der Session vorhatte, war kein Bashing bestimmter Teile eines sehr diversen Diskurses, sondern eine Einordnung unserer eigenen Bedeutung innerhalb des Internet – und eine Art Wachrütteln, dass wir unsere Diskussion an der eigentlichen Netzbevölkerung komplett vorbei führen. Mit vielen Fakten, wenig Ranten und insgesamt sehr nachdenkenswert präsentiert: Meine #rp14-Überraschung Get real, Netzgemeinde zum Nachhören.

 

Eine weitere Überraschung, denn ich hatte die Session überhaupt nicht auf der Linse, stellte der Vortrag von Christiane Frohmann über Unsinn stiften als performative Aufklärung für mich dar. Wieder eine Silent-Session – das waren die Talks, die mit Kopfhörern fürs Publikum ausgerüstet waren – und durch den späten Zeitpunkt mäßig besucht. Christiane Frohmann führte in einem kurzen, pointierten einleitenden Teil durch hermeneutische Theorie, gewürzt mit ein bisschen Gender-Kram und in ein paar Erläuterungen zu Ästhetik mündend. Das Ganze blieb dennoch zu jedem Zeitpunkt verständlich und arbeitete sich zudem an Catcontent, Spam-E-mails und anderer Unsinns-Kunst ab. Unsinn definierte sie als narrative Form, über wichtige Inhalte zu sprechen. Eine sehr interessante Session, die mir persönlich viel gebracht hat. Danke daher auch an @littlejamie und @elfengleich, ohne die ich diesen Vortrag nicht besucht hätte.

Erwartungsgemäß genial war die Keynote der diesjährigen re:publica. Die Yes Men sind unterhaltender als jeder Tatort, also einfach mal den Fernseher aus lassen und die Keynote anschauen. Ich schreib mal nichts weiter dazu.

Eine Pause vom über allem schwebenden und durchaus die Hochstimmung drückenden Thema der Überwachung und des eigenen Versagens, unsere Inhalte Menschen außerhalb „dieses Internet“ zu vermitteln, bot Johnny Häusler mit Sie werden nicht glauben, was Sie hier sehen. Mit einem witzigen Tool forderte er das Publikum zur Partizipation auf, bei so entscheidenden Abstimmungen mitzuwirken wie „Katzen oder Hunde?“, oder welche Kommentare auf Websites die schlimmsten wären: Die bei Spon, Heise oder Youtube. Zudem überraschte er mit Fun Facts, wie z.B., dass das Urinieren bei zeitgleichem Duschen eine ziemlich beeindruckende Menge an Wasser im Jahr spart. Ich werde vermutlich trotzdem nicht in die Dusche pinkeln, habe aber jetzt das Gefühl, es sollten vielleicht doch mehr Menschen tun. Da ahnst Du nichts Böses, gehst auf so eine Internetkonferenz und kriegst gratis ein schlechtes Gewissen, weil Du NICHT in Deine Dusche pisst … das glaubt einem auch keine Sau. Jedenfalls hat es Spaß gemacht und sehr aufgelockert, also, bitte: Ansehen.

Die Todessternsünden klickten wie eine Fortsetzung meiner bisherigen Sessions in die Gedanken, mit denen ich bereits aus den Talks heraus gegangen war. Das lag nicht zuletzt an der Fähigkeit der Vortragenden, hervorragend auf die bisherigen Talks zu referieren und zusammenzufassen. Laura Sophie Dornheim übertrug die sieben katholischen Todsünden ins Digitale. Gut gemacht, schön pointiert und durchaus zum Mit-Nachhausenehmen.

Dagegen sollten sich zart besaitete Menschen auf keinen Fall Nele Tablers Zusammenfassung zur #idpet ansehen. Ich habe auf diesem Blog ja selbst drei Beiträge zu dieser menschenverachtenden Petition geschrieben und kannte mich durch die Recherche und das Mitverfolgen einigermaßen aus. Nele Tabler aber brachte noch einmal Erschütterndes und sehr nachdenklich Stimmendes zum allgemeinen Krisenmanagement auf der Plattform openpetition, in der Politik, in den Schulen. Ihr Fazit ernüchterte mich und machte mich traurig:

1. Der so wichtige Bildungsplan ist auf mindestens 2016 verschoben worden, damit „mehr Zeit für die Diskussion“ bleibe. Das alleine ist schon katastrophal.

2. „Die Menschen haben gelernt, dass man homophobe und menschenverachtende Aussagen treffen darf, ohne, dass etwas passiert.“ Furchtbar. Die @Mama_notes fasste in einem Tweet zusammen, woran es bereits im Grundgesetz fehlt:

Die Session von Wibke Ladwig Ein blindes Huhn ist kein Ponyhof war wie erwartet einfach nur wunderschön. Ich habe letztes Jahr bereits ihren Vortrag Was ist Buch gesehen, daher war dieser Talk für mich gesetzt. Mit Sprichwortrekombinatoren, Archaismen und dem bereits fast 4 Jahrhunderte andauernden Abgesang auf die deutsche Sprache erklärte sie, dass die Sprache sich in einem kontinuierlichen Wandel befinde. „Manche Wörter werden totgeschwiegen“, dafür bildeten sich neue. Auch unsere Online-Sprache ist Teil eines Sprachwandels, nicht eines Sprachsterbens. Viele Links zu Wortschatzprojekten später schloss Wibke Ladwig mit den Worten: „Wortschatz ist Liebe. Geht raus und teilt Euren Wortschatz mit Menschen“. Und auch sie referierte, wenn auch ganz leise, auf unsere Wörter als Waffen für Gruppenbildung und Protest: Auf ihrer letzten Folie der Aufruf: „Poetisiert Euch.“

Ebenfalls gesetzt war für mich der Vortrag von Anatol Stefanowitsch Sprachpolizeiliche Ermittlungen. Er sprach über Diskriminierung und Fehlannahmen in der Kommunikation und erläuterte, wie es aufgrund dieser Fehlannahmen zu Trolldiskussionen und Online-Streitereien kommt. Kommunikation ist ja bekanntlich auch eines meiner Herzblutthemen, und Anatol Stefanowitsch gelang es, komplexe Vorgänge in der Kommunikation anschaulich zu machen sowie ein Fazit zu ziehen, wie sich sprachliche Diskriminierung und Missverständnisse vermeiden lassen könnten. Der Vortrag passte hervorragend zu einigem, was auch Teresa Bücker gesagt hatte. Ich werde ihn mir vermutlich auch noch einmal ansehen.

 

Die ganze Zeit überlege ich hin und her, ob ich dieses Jahr auch schlechte Sessions besucht habe, von denen ich abraten kann. Selbst habe ich tatsächlich keinen einzigen enttäuschenden Vortrag gehört. Allerdings las ich parallel zu meiner eigenen Auswahl via twitter ein wenig bei den anderen mit. Ganz gewaltig rauschte es zu zwei Sessions in meiner Timeline. Ausgerechnet die beiden wichtigen Veranstaltungen zum Thema Elternblogs fielen in meiner Peergroup glatt durch – was aus unglaublich vielen Gründen schade ist. Während ich die Tweets so las und froh war, die Sessions nicht besucht zu haben, regten sich auf Stage 4 große Teile des Publikums über Pauschalismen, Sexismen und schlechteste Vorbereitung auf – das betraf wohl vor allem die Diskussion um das Thema „Väterblogs“. Mal abgesehen von den thematischen Schwächen und den offensichtlichen Vorurteilen, die dort reproduziert wurden, ärgerte mich dabei als eigentlich Unbeteiligte folgendes:

Das Team der re:publica hat dieses Jahr 700 Session-Einreichungen erhalten. Das bedeutet, sie mussten mehr als 50% aller Ideen ablehnen. Fast 400 mehr oder weniger innovative, mehr oder weniger coole Talks sind hops gegangen und werden der Öffentlichkeit vermutlich nie zugänglich sein. Und dann trauen sich ein paar Hansel (von denen ich zwei im Übrigen sehr, sehr gerne lese, nur um das klarzustellen) quasi ohne Vorbereitung, eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte zu führen. Finde ich respektlos von den Vortragenden gegenüber so vielen anderen, die nicht sprechen durften. Und gegenüber einem Organisations-Team, das eine Auswahl treffen musste.

Eine weitere Bemerkung in puncto Organisation sei erlaubt: Die re:publica ist die einzige mir bekannte Veranstaltung, die für den Frühbucherpreis von 120.- Euro Derartiges bietet. Die zusätzliche Einführung von vergünstigten Studierenden,- Senioren- und Arbeitslosentickets habe ich sehr begrüßt – auch wenn dafür das Bloggerticket wegfallen musste. Hinzu kommt, dass die re:publica Menschen, die eine Helferschicht übernehmen können, gratis offen steht. Ein solches Konzept muss von Sponsoren getragen werden, anderenfalls lassen sich dermaßen tiefe Eintrittspreise gar nicht realisieren. Jeder, der nur ein ganz kleines bisschen von Eventmanagement versteht, kann sich ausrechnen, dass über die Eintrittspreise lediglich ein Bruchteil der Kosten erwirtschaftet wird. Nur mal abschließend zum Überdenken für die ewigen “Das ist so teuer” und “Daimler ist doof”-Nörglerinnen und Nörgler.

 

Danke an das tolle Team, die ehrenamtlichen Helferinnen, die Übersetzungen und Gebärdensprachdolmetscher, danke an großartige Vorträgerinnen und Vorträger. Es hat großen Spaß gemacht. Fazit folgt.

 

Update:

Auch andere haben ihre Lieblingssessions verbloggt, ich verlinke nach und nach:

Mit deutlicher Schnittmenge zu den hier vorgestellten Vorträgen hat Michael Seemann seine Highlights kommentiert und verbloggt. Außerdem hat er selbst einen Vortrag gehalten, den ich mir erst im Nachhinein angesehen habe. Empfehle ich!

Auch Johannes Korten und ich waren offenbar in vielen Sessions zusammen. Hier empfiehlt er mit ausführlichen Kommentaren und kündigt einen separaten Blogpost zu den Väterblogs an. Ich bin gespannt!

Lesen Journalistinnen hier mit? Wenn ja, sind vielleicht die Beiträge von Markus Pflugbeil interessant. Er stellt die Sessions aus journalistischer Sicht zusammen und beschreibt sie differenziert. Ich verlinke hier mal den letzten Tag, weil ich ihn am besten finde. Feel free to klick.

Auch die Mama Notes hat einen schönen Rückblick  mit ihren Lieblingssessions veröffentlicht. War mir eine Freude, Dich kennen zu lernen!

Steffen aka Teilzeitpazifist verbloggt seine persönliche re:publica in einem Vierteiler, nach den Tagen sortiert. Ich verlinke Teil 2, auf den Rest müssen wir leider noch warten.

  1. Danke für die gelungene Zusammenfassung. Da muss ich allerdings noch einiges nach-schauen 🙂

  2. Danke für die detaillierte Zusammenfassung!
    Ich hab da wohl noch einiges nachzukucken… 🙂

  3. Danke für den Link, hat mich sehr gefreut. Mein Ziel ist es eigentlich auch, meine Posts noch zu ergänzen und verschönern, aber ob ich das schaffe…? Ich gebe dir recht, die re:publica ist eine überwältigende Veranstaltung, von der man eigentlich ein Jahr zehren kann – auch für das Bloggen 😉 Danke für den umfassenden Einblick in die Sessions, die man selbst nicht besuchen konnte.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Gern :-), danke auch für Deine!

      Das mit dem Ergänzen und Verschönern: Ja, das ist ziemlich mühsam, und nicht immer hat man Zeit und Nerven. Andererseits zeigt bei mir die Klickstatistik, dass dieses Angebot sehr viel genutzt wird. Für mich ein guter Grund, die Beiträge von anderen anzubieten. 🙂

  4. Auch von mir: Dankeschön!

  5. Oha. Sher umfassend. Was mein Fazit ist… naja. Ein bisschen anders. aber auch ich habe tolle Sessions gefunden. hast Du gelsen, oder? Überhaupt war es toll, Dich kennengerlernt zu haben. So in echt. Und im Juli legen wir dann los, ja?

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