Das Netz ist das, was Du draus machst

Internet und Gesellschaft, Politik

Unsere Kanzlerin – meine Enttäuschung

Hier sieht man einen Aufkleber auf einer Straßenbahnhaltestelle, der Text lautet "Refugees welcome"

Frau Merkel streichelt ein junges, von Abschiebung bedrohtes Mädchen – und ich fühle mich geohrfeigt.

Versuch einer persönlichen Einordnung.

 

Zum Glück gibt es Menschen wie meine Bloggerkollegin Julia. Nachdem gestern kaum ein soziales Netzwerk mehr benutzbar schien, postete sie auf facebook :

„ich bin ja ein freund der fairness und der gerechtigkeit, des beobachtenden abwartens. bis die emotionen verebben. zwar bin ich ebenfalls der meinung, dass die art und weise, wie mit flüchtlingen europaweit umgegangen wird, ein unding ist. dennoch finde ich es nicht richtig, sich von seinen emotionen mitreißen zu lassen. statt dessen wäre es angebrachter, zunächst alle seiten anzuhören und vor allem: das quellenmaterial genauer zu recherchieren.
dafür bedarf es eines kühlen kopfes. bei twitter schäumen die emotionen leider viel zu schnell viel zu hoch…da will ich am liebsten den leuten das twitter wegnehmen und zurufen: erst mal eine runde abkühlen, leute! mit kühlem kopf denkt es sich einfach besser.“

 

Das gilt in besonderem Maße für Menschen wie mich, die vor lauter Fremdscham, unterschwelliger Aggression und Ohnmacht erst einmal nicht wussten, wohin mit sich. Einen Nachtschlaf später, mit wesentlich kühlerem Kopf, möchte ich erklären, was sich gestern bei mir persönlich abgespielt hat. Hintergrundinformationen zu dem Gespräch zwischen Frau Merkel und Reem, dem Mädchen, findet Ihr hier.

„Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter aus als über Paul“ schreibt die Straßenkünstlerin Barbara und hat, wie so oft, Recht. In Bezug auf die Reaktion von Frau Merkel hat Michael Seemann eine eingängige und zutreffende Analyse verbloggt. Aber damit darf es nicht aufhören. Vielmehr müssen wir selbst reflektieren, warum uns bestimmte Dinge wütend machen – und andere vielleicht nicht. Also fange ich mit mir an:

Frau Merkel hat in diesem mehrminütigen Gespräch, das in einer starken emotionalen Reaktion seitens des Mädchens endete, bei mir alle Trigger gezogen, die zu ziehen waren. Zunächst behält sie das Mikrophon in der Hand, während sie sich zu der unbeholfenen, aber mit Sicherheit gut gemeinten menschlichen Geste des „Streichelns“ hinreißen lässt. Das macht alles, was sie im Folgenden sagt, für mich zu einer Farce. Hinzu kommt, WAS sie im Einzelnen von sich gibt. Hier meine Top3:

 

„Das hast Du doch prima gemacht!“

Michael hat ausführlich dargelegt, wen Frau Merkel hier eigentlich adressierte, und woher diese Reaktion vermutlich rührte. Dennoch bin ich auch heute noch kurz davor, im Viereck zu springen, wenn ich diesen Satz lese. Denn er verkörpert auch, wie wir mit den jungen Menschen, die unsere Zukunft sind, in diesem Land umgehen – ganz unabhängig von etwaigen Migrationshintergründen. Wir nehmen sie nicht ernst. Nicht, wenn sie sich ans Drehbuch, das wir für sie schreiben, halten. Auch nicht, wenn sie davon abweichen. Wir halten sie klein, wir deckeln ihr Engagement, wir sind nicht in der Lage, ihnen die Rahmenbedingungen zu schaffen, die sie benötigen, um zukünftige und schier unlösbare Aufgaben bewältigen zu können. Und wenn sie das bemerken, ist unsere erste Reaktion ein Tätscheln … Eigentlich als Übersprungshandlung gedacht, verharren wir bei dieser unbeholfenen Geste, die unsere ganze Ohnmacht zeigt. Frau Merkel hält der Erwachsenengeneration den Spiegel vor. Und das tut weh.

 

„Politik ist hart“

Nein, das ist Politik nicht. Politik „ist“ streng genommen überhaupt gar nichts. Sie ist ein Abstraktum, ein Gefüge aus Verabredungen, die Menschen getroffen haben. Dieses erdachte Gefüge bildet ein System aus Abhängigkeiten. Aber es ist immer noch ein erdachtes Gefüge. Und es soll den Menschen dienen und deren Zusammenleben regeln und verbessern. Es „ist“ damit lediglich so hart, wie wir, die Menschen, es gestalten. Deshalb möchte ich Wände anschreien bei einer solchen Aussage. Politik ist hart. My ass.

Einem System bestimmte Adjektive zuzuschreiben und ihm damit ein Eigenleben zu geben, befindet sich auf der gleichen argumentatorischen Schiene wie die folgende Aussage. Wird hier zunächst „die Politik“ vermenschlicht (das Wort dafür ist Antropomorphismus), indem so getan wird, als habe sie eigene Eigenschaften („hart“), macht die nächste Aussage den Menschen zum Untergebenen des Systems bzw, genauer, sogar zu einem durch das System Unterdrückten:

 

„Mir sind da die Hände gebunden“ (sinngemäß)

Ist so wörtlich nicht gefallen und dennoch in gleich mehreren Sätzen umschrieben worden. Neben dem Fakt, dass es diverse Dinge zu sagen gegeben hätte ( Reem und ihre Eltern scheinen hervorragend inkludiert zu sein, Frau Merkel hätte Antragstellungen auf Härtefälle genauso erwähnen können wie das zumindest etwas tröstende Versprechen „Ich sehe mir Deinen Fall noch einmal an“ zu geben) wirft eine solche Aussage eine zentrale Frage auf:

Frau Merkel ist unsere höchste Regierungschefin. Sie ist mächtiger Teil unserer Exekutive. Und sie kann da nichts MACHEN? Was sollen dann wir, die ganz normalen Bürger_innen der Bundesrepublik noch „machen“?

Die Antwort ist bestechend einfach: Nichts. Wir sollen nichts sagen, nichts machen, nichts verändern wollen. Es ist bereits Kluges über die Apathie, in der uns die eiserne Raute unserer Kanzlerin hält, geschrieben worden (Links reiche ich nach). Hier sehen wir sie – bewusst oder unbewusst – ein weiteres Mal in ihrer Wirksamkeit. Die mächtigste Frau der Welt kann „da nichts machen“. Das heißt, auch wir sollten weiter in einer Art Schockstarre verharren und warten, bis es vorbei ist. Nur: Was geht vorbei? Vorbei geht nur der Beitrag des NDR, und die Welle der Empörung, die von dem Verhalten der Kanzlerin ausging.

Jens Best bemerkt auf facebook unter einem Post von Patrick Breitenbach:

„Ich schaue dieser sich langsam entfaltenden Katharsis der entpolitisierten Bevölkerung zu und frage mich persönlich eigentlich am meisten, wann diese von einem – wie Patrick imo richtig vermutet – aufgestautem Frust durch Politiksimulation entstehenden Impulse in eine neue Politikawareness umschlagen könnte und was es dazu an Nebenimpulsen bräuchte.

 

Leider weiß ich nicht, welche Nebenimpulse nötig sind. Ich weiß aber durch diesen Kommentar, was mich an der Aussage so wütend macht: Dass es keine Selbstaussage über Frau Merkels Handlungsspielräume war. Sondern eher eine Art Beobachtung unseres momentanen Verhaltens als „Teilnehmende“ am politischen System, gekoppelt mit dem Wunsch, es möge so bleiben.

Es kann aber nicht so bleiben. Die Empörung über das, was uns allen gerade passiert, darf nicht nur, sie MUSS laut sein. Und sie muss überführt werden in eine Art Re-Politisierung einer viel zu  lethargisch gewordenen Gesellschaft. Konkrete Vorschläge? Bin wie so oft überfragt. Vielleicht habt Ihr ein paar Kommentare dazu für mich …

 

Meine unmittelbare Konsequenz aus den letzten zwei Tagen ist übrigens die Teilnahme an einem „offenen Gespräch über die Flüchtlingsproblematik“ in Heidelberg. Und sei es nur, um da ein „Refugees Welcome“-Schild den halben Abend hochzuhalten. Denn wir müssen sichtbar sein, viel sichtbarer als bisher. Nicht nur im Netz.

  1. 1. Ich versuche seit gestern herauszufinden, wie ich mich in dieser Situation verhalten hätte und welche Alternativen ich gehabt hätte. Angela Merkel ist zur Zeit eine der am höchsten beanspruchten Personen in Europa. Sie hatte aus meiner Sicht nur die Alternative, den »Bürgerdialog« wegen Überlastung abzusagen. Sie war mit der Situation überfordert und ich wette, 99.5 % der Zuschauerinnen und Zuschauer wären es ebenfalls gewesen.

    2. Kann Angela Merkel etwas Konkretes für die Schülerin »machen«? Nein, im Grundsatz geht das nicht. In einem Rechtsstaat wäre es fatal, wenn die Gewaltenteilung einfach durch eine Kanzlerin oder einen Kanzler aufgehoben werden könnte. Das Verfahren muss seinen rechtsstaatlichen Weg nehmen, wie alle anderen Verfahren.

    3. Ist Angela Merkel für das Leid der Familie und die Tränen des Mädchens verantwortlich? Diese Frage sollte man politisch und sachlich diskutieren – aber ohne Angela Merkel dabei zu diskreditieren und zu mobben. Dann wären Fragen unserer Außenpolitik zu klären, aber auch die Stellvertreterkonflikte im Libanon, die Bedrohung Israels durch Terrorismus, die Menschenrechtssituation von Frauen und Mädchen im Nahen Osten und vieles andere mehr. Fragen von Ursache und Wirkung …

  2. Max Mustermann

    „offenen Gespräch über die Flüchtlingsproblematik“

    Welches? Gibt es einen Link?

    Freundliche Grüße

  3. Was das “Merkel kann nichts tun” angeht stimme ich erst mal Stefanolix zu, Merkel ist hier an die geltenden Gesetze gebunden und darf nicht einfach sagen “oh, du hast so toll geweint, darfst hierbleiben”. Funktioniert nicht, das hätte eine maximal fatale Wirkung auf alle anderen die eben nicht das “Glück” haben die Kanzlerin zu treffen.

    Trotzdem hast Du natürlich recht, es muss etwas gemacht werden. Ein tröstendes Versprechen “ich schaue mir Deinen Fall nochmal an” wäre auch ein falsches Versprechen gewesen, denn Merkels Terminkalender ist voll. Sie wird keine Zeit haben diesen individuellen Fall nochmals anzusehen.

    Natürlich kann Merkel etwas tun. Nur eben nicht speziell für Reem, sondern sie müsste für alle Flüchtlinge. Bodo Ramelow hat ja als erste Amtshandlung als Ministerpräsident auch einen Abschiebestopp verhängen können, warum kann Merkel das nicht? Und dann sagen, wir müssen unsere Flüchtlingspolitik grundlegend überarbeiten um solche “Fälle” zu vermeiden.

    Was maßen wir uns an, einen jungen Menschen wie Reem (die übrigens so alt ist wie meine Tocher), einen Menschen mit einer bescheidenen Lebensvision einfach ins Nichts zu stoßen. Was maßen wir uns an, einem Kind zu sagen, es wäre hier unerwünscht obwohl es seit 4 Jahren hier ist und wie ihre Ausdrucksweise zeigt bestens integriert ist? Was maßen wir uns an Menschen ihre Zukunft zu nehemn die aus ihrer Heimat geflüchtet sind weil unsere Politik und unsere Waffenexporte ihre Heimat in einen lebensgefährlichen Ort verwandelt haben.

    Frau Merkel hat hier vielleicht das erste mal in ihrer Karriere tatsächlich Kontakt zu den Folgen ihrer Politik gehaben. Es reicht eben nicht, wenn man gut bewacht irgendwelche Gipfeltreffen abhält und das Volk von den Sicherheitskräften zurückgedrängt wird. Und als Gradmesser für den Erfolg ihrer Politik reicht es auch nicht aus, wenn ein Bankchef im Kanzleramt eine rauschende Geburtstagsparty feiert. Jetzt hat sie gesehen, das die Flüchtlingsstatistiken nicht nur Zahlen auf Papier sind sondern ganz reale und liebenswerte Menschen dahinterstehen, Menschen die eine sehr bescheidenen Traum vom persönlichen Glück träumen den wir ihnen nach jeglichen moralischen Gesichtspunkten nicht zerstören dürfen.

    Warum ist es eine Schlagzeile wenn der US-Präsident sich ein Bild von den zuständen im Knast macht, der Präsident der Nation die prozentual die meisten ihrer Bürger im Knast sitzen hat? Solange die Politik total losgelöst von der Realität agiert werden wir weiter weinende Flüchtlingskinder haben und unhaltbare Zustände überall.

    Was ich ebenso erschütternd und bedenklich fand ist das Gefasel von Merkel dass es ja nicht geht, dass alle Flüchtlinge zu uns kommen, die aus Afrika usw. Damit gießt sie Wasser auf die Mühlen der Pegidioten und zeigt offen, dass sie nicht verstanden hat, dass all diese Flüchtlingsströme eben auch ihrer eigenen Politik geschuldet sind.

    Doch was können wir, also Du und ich tun? Du hast recht, wir müssen sichtbar sein. Doch manchmal erscheint es mir wie der Kampf des Don Quichotte in diesem Land Aufklärungsarbeit leisten zu wollen während gleichzeit die Propaganda auf allen Kanälen aus vollen Rohren feuert und mit manipulierten Umfragen dem Bürger eine heile Welt vorspielt die so nicht exisitert.

    Als Sofortmaßnahme für mehr Bodenhaftung könnte ich mir vorstellen, unsere Politiker gesetzlich zu verpflichten z.B. einen Tag pro Monat sich nicht mit Lobbyisten zu treffen sondern einfach mal (am besten unangekündigt) an den Problemzonen im Land aufzutauchen und sich dort ein ungeschöntes Bild davon zu machen. Also z.B. mal in einem Altenheim mithelfen während der Pflegestreik läuft um zu sehen, wovon die Pflegekräfte reden. Das könnte manchen heilsamen Schock auslösen.

    Es wird Zeit, dass wieder Politik für Menschen gemacht wird und nicht nur für Profiteure und Spekulanten. Und dass die Politik echten Demut zeigt vor denen, die tatsächlich die Last im Land tragen.

    • Könnte bitte mal ein kluger Kopf den Begriff »Politik für Menschen!« definieren? Für wen wird denn hierzulande sonst Politik gemacht, wenn nicht für Menschen? In der Zeit dieser #GroKo gab es z. B. Politik für Mindestlohnempfänger, Rentner, Mütter, junge Eltern … – Sind das alles keine Menschen? Oder was übersehe ich?

      »Politik nicht für Profiteure!« – klingt auch wunderbar. Bis man merkt, dass Versicherungen, private Altersvorsorge, private Gesundheitsvorsorge und vieles andere einfach von Kapitalanlagen abhängig ist. Die müssen nämlich Rücklagen bilden und möglichst einen nachhaltigen Gewinn machen. Das gilt für das vorbildliche Norwegen, für die härtere USA, für die Ölstaaten und eben auch für Deutschland. Die Profiteure sind unter uns. Die Profiteure sind auch wir.

      »Politik nicht für reiche Profiteure!« könnte man nun sagen. Meinetwegen. Wenn sich herausstellen sollte, dass sich einige Superreiche wirklich vor der Einkommenssteuer drücken sollten, dann soll man sie international besser kontrollieren und besteuern. Aber ich wette, dass der Ertrag daraus kaum einen Einfluss auf die »Politik für Menschen« hat. Warum? Weil sich die Einnahmen für Deutschland in der Größenordnung eines zweistelligen Milliardenbetrags pro Jahr bewegen dürften und weil man das Geld halt nur einmal ausgeben kann.

      Warum haben einige Länder (nicht nur Thüringen) einen Abschiebestopp erlassen? Im Winter gibt es das häufiger. Weil das im Wortsinn Ländersache ist. Angela Merkel kann nicht in die Innenministerien der Bundesländer hineinregieren.

      • Anita hat ja schon schön definiert, was “Politik für Menschen” eigentlich bedeuten sollte. Klar machen wir Politik für Menschen, aber leider oft nur für Menschen die eine Lobby haben. Und Du, lieber Stefanolix hast (möglicherweise unbewusst) in Deiner Aufzählung der Gründe für das Profiteur-Dasein sehr schön auch gleich eines der Hauptprobleme eingeflochten, nämlich das schöne Wort “private”. Private Rentenversicherung braucht kein Mensch wenn man die gesetzliche Rentenversicherung nicht willentlich demontiert. Und Privatisierung von Daseinsvorsorge und Infrastruktur bedeutet letztlich nur, dass irgendwer da einen schönen Gewinn für sich abschöpfen will. Und die Daseinsvorsorge bzw. der Erhalt der Infrastruktur ist nur noch Nebensache.
        Aber das sind gesamtwirtschaftliche Betrachtungen die mit der Flüchtlingssituation erst mal nichts zu tun haben.

  4. Anita

    Wie ich das erste Mal gesehen und VOR ALLEM gehört hatte, WIE Frau Merkel bei diesem Gespräch reagiert hat, hatte ich einen extremen Würgereiz!

    Gegen diesen konnte ich mich kaum wehren.

    Selbstverständlich hat Stefanolix vollkommen Recht, und EGAL, wie Frau Merkel reagiert hätte, es wäre falsch gewesen.

    Denn in dieser Akut-Situation konnte sie nur falsch handeln!

    Aber dieses Streicheln hatte so einen widerlichen Ausdruck von Hilflosigkeit und Realitätsferne.
    Und mein Reflex war, sie wird es nicht verstehen.
    Sie wird in und an ihrer Politik aufgrund dieses Vorkommnisses NICHTS ändern.

    Und da könnte sie etwas tun! Punkt

    @ Stefanolix

    Zitat Stefanolix: “Könnte bitte mal ein kluger Kopf den Begriff »Politik für Menschen!« definieren? ”

    Ich bin kein kluger Kopf, ich bin nur Mutter und Mensch.

    Und “Politik für die Menschen”, würde bedeuten, dass man die Alltagsprobleme NICHT der Wirtschaft unterordnet! (und auch nicht irgendwelchen Partnerstaaten, die ebenfalls nur wirtschaftshörig sind, und erzähl mir keiner, dass dies eine wirre Idee wäre. die Industrie und die Banken bestimmen, das ist einfach ein Fakt!)

    Und es nicht bei “netten” Formulierungsversuchen bewenden lässt.

    Das unsere Politiker tatsächlich erfahren

    Zitat Rainer: “Als Sofortmaßnahme für mehr Bodenhaftung könnte ich mir vorstellen, unsere Politiker gesetzlich zu verpflichten z.B. einen Tag pro Monat sich nicht mit Lobbyisten zu treffen sondern einfach mal (am besten unangekündigt) an den Problemzonen im Land aufzutauchen und sich dort ein ungeschöntes Bild davon zu machen.”

    und dort auch mal konkret mitarbeiten!
    Sich die Hände dreckig machen.

    Die Hilflosigkeit aufgrund der bestehenden Zustände der beteiligten Personen erleben.

    Und die Thematik, wo sie arbeiten, ist da defacto fast egal.

    Sei es die Pflege in Altenheimen.
    Sei es die Pflege in Krankenhäusern.
    Sei es die Situation von behinderten Menschen.
    Sei es die Flüchtlingssituation und die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen (und ja, auch die Jugendämter der größeren Städte stöhnen bereits unter der Überbelastung der Versorgung und Betreuung alleine gekommenen Flüchtlingskinder)
    Sei es der Niedriglöhner
    Sei es bei den Gewerkschaften und den Kämpfen gegen das Outsourcen um die Löhne niedrig zu halten (um angeblich wettbewerbstauglich zu sein, aber doch nur die Dividenden hoch zu halten)
    diese Liste ist beliebig erweiterbar…………

    Die meisten politischen Entscheidungen sind unternehmensberaterisch optimiert und nicht zum Wohle der Menschen. Viele Dinge sind nur kurzfristig bedacht und das Weiter-Denken beschränkt sich oft auf den Zeitraum von 2 Jahren, selten mal auf einen Zeitraum von 10 Jahren…………

    Zitat Rainer: “Doch was können wir, also Du und ich tun? Du hast recht, wir müssen sichtbar sein. Doch manchmal erscheint es mir wie der Kampf des Don Quichotte in diesem Land Aufklärungsarbeit leisten zu wollen während gleichzeit die Propaganda auf allen Kanälen aus vollen Rohren feuert und mit manipulierten Umfragen dem Bürger eine heile Welt vorspielt die so nicht exisitert.”

    Tja, eigentlich nur weitermachen und uns für das Thema einsetzen, dass uns wichtig erscheint und immer wieder den “Finger in die Wunde legen” und den Mund nicht halten.

    • Zum Thema Aufklärungsarbeit. Ich hatte gestern wieder eine lange Diskussion über Griechenland und die Einigung. Das fürchterliche daran ist, dass alle nur noch auf BILD-Niveau (also absolut unterirdisch) unterwegs sind und gar nicht mehr in der Lage sind, “the big picture” losgelöst von irgendwelchen Vorurteilen oder ohne Neid zu betrachten. Da gibt es nur noch die Parolen vom “faulen Griechen” usw. Einfach nur deprimierend. Ich wäre dafür, das Volkswirtschaftslehre inkl. der Beschäftigung mit allen Theorien zu jeder Schulbildung als Pflichtfach dazugehört, aber auch das werden unsere Scheuklappen-Ideologen wieder total vergeigen.

      • Anita

        Außer VWL (auf welche sich viele Unternehmensberater ja berufen) auch echte BWL und noch viel WICHTIGER echte Sozialkunde auf den Unterrichtsplan.

        Und noch viel wichtiger, differenziertes Lesen und Hören von Nachrichten. Und sich niemals auf nur einen Kanal beschränken.

        Was eine echte Wertschöpfung ist und auch die Erhaltung von Werten (nicht immer dem neuesten hinterher rennen), oder was wahre Menschenachtung ist, ist bei so vielen einfach nur verloren gegangen.

        Dafür haben wir so viele “erhalten”, die immer nur das Neueste vom Neuen brauchen, denen das Wohlergehen des direkten Nachbarn einfach wurscht ist…………

        Wo wir wieder bei einem sehr wichtigen Thema (unserem Schulsystem) angelangt sind, was schlussendlich auch schon wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wurde.

  5. Es soll eine ungeschnittene Version des Videos geben, die zeigt, dass das Gespräch Merkel / Reem ca. 10 Minuten dauerte – was ihre Bemerkung “hast du gut gemacht” weniger als unterirdisches Missverständnis wirken lässt.

    Von dieser Bemerkung abgesehen fand ich Merkels Verhalten weder besonders schlimm noch besonders gelungen. Sie hat sich – plötzlich konfrontiert mit diesem konkreten Schicksal – aus meiner Sicht für eine Bundeskanzlerin “normal verhalten”: Eine Geste des Mitgefühls versucht, ansonsten aber ihre Meinung zur Sache wieder gegeben und begründet.

    Natürlich kann sie im Einzelfall nichts MACHEN – denn wie Kommentierende hier schon ausführten, leben wir nicht in einem Staat, in dem herrschende Politiker/innen von Gesetzen absehen und persönlich “Gnade walten” lassen können. Das ist auch gut so!

    Worin ich ihr zustimme: Ja, Politik ist HART! Und zwar ab dem Moment, ab dem man in irgend einer Angelegenheit, für die man sich einsetzt, vom Protest und Aktivstmus hin zum Mitgestalten / Mitentscheiden kommt – also in echte Machtpositionen gelangt (die sich dann oft weniger mächtig anfühlen als das vorherige Aktivistendasein).

    Das ist zwingend so, denn Politik muss zwischen ganz unterschiedlichen Interessen und Interessengruppen VERMITTELN und lebbare Kompromisse finden. Das bedeutet immer auch: nahezu nie setzt sich eine Gruppe mit ihren Interessen VOLL durch – immer wird ein Teil davon zu Gunsten einer Entscheidung “für alle Beteiligten” geopfert.
    Wer das nicht mitmachen will, ist für politische, institutionalisierte Machtpositionen ungeeignet.

    Was folgt aber zwingend daraus: Es gibt immer Menschen, deren konkrete Anliegen hinten runter fallen. Es ist unmöglich, es in der Welt begrenzter Ressourcen allen recht zu machen.

    Und dann ist es HART, jenen gegenüber zu stehen, die zu Gunsten des politischen Kompromisses verloren haben. Egal, ob sie wüten oder weinen.

    Oder einfach sterben, wie jene alten Mieter in einem verfallenden, lichtarmen Hinterhaus, das nach langem Kampf und einem für unzählige Mieter wirklich vorteilhaften “Sanierungskonsens” im Kreuzberg der 80ger dann doch “zur Modernisierung frei gegeben” wurde. Sie hätten umziehen müssen… und sind statt dessen während der Phase der “Umsetzungsberatung” gestorben.

    • [..] Es soll eine ungeschnittene Version des Videos
      [..] geben, die zeigt, dass das Gespräch Merkel /
      [..] Reem ca. 10 Minuten dauerte

      ich denke, das ist das hauptproblem dessen, was wir mal als das “große gespräch” verstanden haben: wir sind in einem sich immer schneller drehenden hamsterrad gefangen, fühlen uns gezwungen, zu allem und jedem innerhalb von sekunden etwas sagen zu müssen, weil es morgen eben kein schwein mehr interessiert und das, was wir dann noch dazu zu sagen hätten, durch den rost der aufmerksamkeit fällt.

      eins der probleme, die auch ganz offensichtlich noch nicht wirklich angekommen sind: wenn wir vor jahren noch von einer “netzgemeinde” sprachen, haben wir über eine klar definierte und relativ leicht zu überschauende anzahl von akteuren gesprochen und … heldenhaft wie wir waren … der zensur die stirn geboten und jedem das recht zur freien rede eingeräumt.

      heute stehen wir angesichts der tatsache, daß jeder vollhonk mit seinem smartphone all die fehler macht, die jeder anfänger macht (also einfach mal frei schnauze reden, perlen aus freital style) vor dem phänomen, daß sich das problem potenziert hat und – weil wir ja nicht einschreiten wollten, gut wie wir waren – eben nicht mehr handzuhaben ist.

      also sind wir mit einer erregungswellendemokratie konfrontiert, alles aus dem bauch heraus, immer den dreck im anderen sehen und ihm alles boshafte unterstellen … und zunehmend unfähig, das gold zu entdecken.

      mein lieblingssatz seit monaten: “tässchen tee anyone?”.

      lieber mal alles liegen lassen, eine nacht darüber nachdenken, was der andere sagen will und nicht das, wie wir ihn verstehen, mit dem verwechseln, was gesagt wurde.

      okay, das ist manchmal schwer, wenn man das, was der andere sagt, noch nicht verstehen kann und es ein bißchen dauert, bis man selbst so weit ist. aber dafür ist der andere ja da.

      die kanzlerin, um back to topics zu gehen, die ich noch nie mochte, die ich ums verrecken nicht wählen würde … die hat sich so verhalten, wie sie das konnte/musste. es ist ihr kein strick zu drehen.

      aber, wir, wir sollten mal in den spiegel gucken, wie schnell wir bereit sind, in einer masse hämischer und dummdreister bemerkungen mitzuschwimmen … statt gegen den strom.

      du, claudia, hast zurecht bemerkt, daß politik, also das praktische tun, kein zuckerschlecken ist, die mühen der ebene, das bohren dicker bretter mit dünnen bohrern.

      das ist etwas, was wir wieder lernen sollten: wenn man sich über etwas lustig machen will, sollte man auch die bereitschaft besitzen, es selber besser machen zu wollen.

      zum eigentlichen problem mit der kanzlerin gibt es dieses schöne interview im dlf am samstag, das sind nämlich “in wirklichkeit” die journalisten, die ihre arbeit nicht mehr machen …

      http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2015/07/18/dlf_20150718_1706_8ec1589d.mp3

  6. ein anderer Stefan

    stefanolix: Politik für Menschen würde bedeuten, die politischen Instrumente zu benutzen, die es den Menschen (innerhalb des Einflussbereiches der jeweiligen Politik) ermöglicht, ein Leben ohne Existenzängste zu führen. Solch eine Politik müsste bestrebt sein, für die meisten Menschen das bestmögliche zu erreichen.

    Da sehe ich in Deutschland Defizite: ALGII z.B., dessen Zahlung das Existenzminimum absichern soll, was es nicht tut, und zudem von Sanktionen bedroht ist, wenn der betroffene Mensch nicht “gefügig” ist. Das staatliche Rentensystem, das nicht ohne Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten ist, ist aber vermutlich immer noch besser als die private Rentenvorsorge (die sich zudem nicht jeder leisten kann). Menschen, die (auch von öffentlichen Stellen) immer wieder mit befristeten Arbeitsverträgen in Unsicherheit belassen werden.
    Umlagefinanzierte Systeme halte ich immer noch für besser, um Existenzsicherung zu betreiben, als kapitalmarktfinanzierte, bei denen irgendjemand Gewinne kassiert, die dann nicht den “normalen” Versicherten zu Gute kommen. Das nur mal als ein Beispiel. Infrastruktur wäre ein weiteres, die Bildung und Ausbildung ein weiteres, das Gesundheitssystem ein nächstes. Ich finde es fahrlässig, Aspekte der Daseinsvorsorge und der Existenzsicherung Wirtschaftsunternehmen zu überlassen, deren erste Prämisse natürlich die Gewinnerzielung ist.

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