Das Netz ist das, was Du draus machst

Das Netz und so, Internet und Gesellschaft

Neuer Internetoptimismus?

Everything is deeply intertwingled.
In an important sense there are no „subjects“ at all;
there is only all knowledge, since the cross-connections
among the myriad topics of this world simply
cannot be divided up neatly

(Theodor Holm Nelson, 1974)

 

Wir brauchen einen neuen Internetoptimismus? Was stimmt denn mit dem alten nicht?

Es mag sein, dass ich noch zu sehr in der von Kathrin Passig so wunderschön beschriebenen Netzpubertät stecke, um in das Gegreine der „selbsternannten Hobbylobby für das freie und sichere Internet“ einzustimmen. Mag sein, dass es mir, verglichen mit denjenigen, die schon viel länger im Netz zuhause sind, an Durchblick fehlt. Aber die Rede von der Wichtigkeit eines „neuen“ Internetoptimismus will mir nicht einleuchten. Wozu sollten wir denn einen „neuen“ Internetoptimismus brauchen? Tut es der alte denn nicht mehr?

Blogparade zum Internetoptimismus

Nach Patrick Breitenbachs Aufruf zur Blogparade habe ich eine ganze Weile rumüberlegt, von welcher Perspektive aus ich das Thema Internetoptimismus aufgreifen möchte. Einige Blogger haben sich bereits aus technischer Sicht geäußert, andere haben politische Standpunkte eingenommen. In vielen Beiträgen findet sich (Gewichtung unterschiedlich):

  1. Ein häufiger Gebrauch des Wortes „Wir“
  2. Die Rede von einer „Enttäuschung“, aber auch das Negieren einer „Überraschung“
  3. Das Referieren auf das Internet als ein Werkzeug, allerdings als ein durchaus revolutionäres
  4. Das Bemühen um Relativierungen und einen neuen Realismus
  5. Seltener ist von „unserer eigenen Schuld“ an der Überwachung die Rede. (Link wird nachgereicht, ist gerade hops gegangen)

Ebenso interessant wie einleuchtend ist, dass die VerfasserInnen fast alle, ohne es explizit zu erwähnen, den „neuen“ Optimismus, den es angeblich zu generieren gilt, auf uns, also auf die Menschen, die das Werkzeug benutzen, beziehen. Kaum jemand geht tatsächlich detailliert auf die technischen Neuerungen, die wir in den nächsten Jahren noch zu erwarten haben, ein. Vielleicht, weil wir ahnen, dass es sich lediglich um eine Art Wettrüsten mit täglich wechselndem Wer-hat-die-Nase-vorn handeln wird? Der „aussichtslose Kampf“, wie Sascha Lobo es so trüb formulierte? Oder weil wir wissen, dass unser Optimismus sich auf die AnwenderInnen der Medien, die wir mit dem Namen Internet verbinden, richten muss? „Romantische Ideologien sind korrumpierbar“ schreibt Alena und plädiert damit für einen unaufgeregteren Umgang mit dem Überwachungsskandal. Und nach Karsten Lohmeyer wird es Zeit, „dass wir in der Realität ankommen und erkennen, was das Internet ist – ein Instrument“.

Vieles davon ist richtig, das meiste wichtig und absolut alle Beiträge halte ich persönlich für lesenswert. (Es ist zudem weniger Gegreine dabei als ich nach den entsprechenden Feuilleton-Artikeln vermutet hätte.) Ist damit der neue Internetoptimismus eine Art gesunder Realismus, der uns hilft, die Vorgänge um uns herum richtig zu bewerten? Der dem schmollenden Kind, das um sein Spielzeug trauert, die tröstenden Worte: „Weine nicht, es war ja gar nie Deines?“ mit auf den Weg gibt? Nein, ich denke nicht. Und ganz nebenbei habe ich noch niemanden schmollend in der Ecke stehen sehen, siehe Gegreine. Was ich in den Beiträgen lese (und dafür muss ich die Textebene zugunsten der Metaebene verlassen), ist, dass ein „neuer“ Internetoptimismus oder -realismus nicht nötig ist, denn der alte funktioniert auch nach den Enthüllungen Snowdens noch tadellos.

Die Idee der digitalen Vernetzung ist genauso brilliant wie eh und je

Zwar ist das Image des weltverbessernden, basisdemokratischen Internet angekratzt, aber das Netz selbst kann nichts dafür. Die Heilsversprechen, die nach der Etablierung des WWW von technikaffinen Menschen geäußert wurden, sind nicht nur nach wie vor gültig. Wir Menschen, die wir Teile des Internet zu unserer Vernetzung benutzt haben, haben davon auch bereits einen nicht ganz unwesentlichen Teil eingelöst. Erinnern wir uns:

  • Es hieß, das Netz solle unsere politischen Prozesse vereinfachen und den Bürgern eines demokratischen Landes mehr Information, mehr Transparenz und mehr Mitbestimmung ermöglichen. Wir haben heute Streams, Online-Abstimmungen, politische Blogs und jede Menge frei verfügbare Informationen im Internet. Wir haben Initiativen wie Frag-den-Staat und Blogs wie netzpolitik.org.
  • Es hieß, durch digitale Vernetzung könnten wir sowohl Arbeits- als auch materielle Ressourcen wesentlich effektiver bündeln und uns zum Teil gratis Hilfe organisieren. Heute twittern wir Wohnungs- und Übernachtungsgesuche, bringen per Facebook-Postings Menschen zusammen, halten via google hangout Konferenzen, machen Inhalte wie Vorlesungen etc. durch Streams zugänglich, suchen Mitarbeiter über soziale Netzwerke. Und ermöglichen ihnen Home-Office, wenn sie nicht immer vor Ort sein können.
  • Es hieß, wir würden unbegrenzte Wissensvorräte zugänglich machen, die wir selbst mitgestalten können. Die Menschheit würde klüger werden. Heute haben wir wikipedia, youtube, Suchmaschinen. Bei Softwareproblemen fragen wir die Crowd ebenso wie bei Restaurantbesuchen. Ist ein Sachbuch in einer Bibliothek vergriffen, kann man es oft online noch ergattern. Nicht selten umsonst.
  • Es hieß, das Internet brächte den Weltfrieden. … Naja. Irgendwas ist ja immer. Außerdem wurde das bereits beim Buch behauptet.

Diese Liste lässt sich fortführen. Und das waren alles „Wir“, dieses diffuse, angeblich nicht-existente, mindestens aber sehr disparate „Wir“, das sich auch in den Beiträgen gehäuft finden lässt. Ja, das hatte einen sehr, sehr hohen  Preis, wie wir jetzt wissen. Die thematisierte Ent-Täuschung, die mal mehr, mal weniger stark gespürt werden will, liegt scheinbar vermehrt in der Täuschung über diesen Preis. Vielleicht liegt sie auch in der latenten Vermutung, das Internet sei nicht nur missbraucht, sondern gar gleich nur zu diesem einen Zweck geschaffen worden. Ein Betrug nicht nur der NutzerInnen des WWW, sondern bereits der „Alt-Hippies, die das Internet mithilfe von Militärkohle entwickelten“. (Das ist ein ungefähres Zitat, ich komme aber nicht mehr drauf, wer es gesagt hat.)

Aber ist das nicht alles völlig egal, weil längst ein anderes youtube-Video angesagter ist? Was bleibt, ist ein Instrument. Und hat Pia Ziefle nicht Recht, wenn sie feststellt, dass unsere neuen Kontakte in gewisser Weise bereits einen Sieg über unsere Überwacher darstellen?
Egal, was es ist, dieses Internetz. Unsere Errungenschaften durch seinen Gebrauch sind unsere Online-Verbindungen und das soziale Kapital, das Tag für Tag daraus hervorgeht. Und über das die Geheimdienste dieser Welt genaue Kenntnis haben, wie wir jetzt sicher wissen. Aber sie haben (noch) keine Kontrolle darüber.

Vielleicht hilft es, noch einmal auf die Textebene zurückzugehen und anhand der „Internetoptimismus-Blogposts“ zu verdeutlichen, was ich meine. Da schreibt ein Mensch einen Artikel, Thema: Das kaputte Internet. Innerhalb kürzester Zeit gibt es Repliken, Zustimmung, Analysen, Auseinandernahmen. Es gibt unterschiedliche Perspektivierungen, Querverweise auf andere Posts, Vorschläge, die aufgegriffen und wieder verworfen werden. Es werden Begriffe benutzt, aussortiert, festgezurrt. Das „Wir“ herrscht als gemeinsame, den jeweiligen Sprecher inkludierende Anrede vor. In Rückblicken und vorsichtigem Vorausschauen erklären wir uns gegenseitig, was das Internet war, ist und was es sein kann. Auf diese Weise entsteht themenspezifisches soziales Kapital, das als Ansatzpunkt für eventuelle Lösungen dient.

Der Initiator der Blogparade möchte bei genügend Feedback auf der re:publica eine Art Fazit aus den Artikeln vorstellen. Um dann weiter zu diskutieren. Aus der Crowd, einmal gebündelt, in die Crowd zurück.
Überhaupt, die re:publica. Wie viele Menschen bereits hier und jetzt und noch ganz im Zeichen des alten Internetoptimismus an Lösungen arbeiten, werden wir vermutlich erst erfahren, wenn sich ein Teil dieser Menschen live und in Farbe an einem Ort trifft. Vermutlich werden wir dabei gut überwacht werden. 🙂

So lange es noch keine Alternativen gibt, werden diejenigen unter uns, die gesehen haben, was alles aus aktiver Online-Vernetzung entstehen kann, die Kanäle weiterhin nutzen. Wie mit dieser Blogparade über Internetoptimismus. Um sich mit Menschen zu vernetzen, die nach technischen, politischen und gesellschaftlichen Lösungen suchen. Das Internet war nur dann ein Danaergeschenk, wenn wir es unseren Überwachern zurückgeben und den Stecker ziehen.

We´re no longer anonymous. But we are still legion.

Dabei müssen uns allerdings ein paar Dinge endlich klar werden. „Wir“, das bedeutet auch diejenigen, die wir gar nicht so gerne in unserem Traum des Bildes einer besseren Welt sehen wollen. „Wir“, das heißt: alle. Und darunter werden, neben den 95%, die das Internet aufgrund der tollen Katzenbilder und der Möglichkeiten zum Online-Banking schätzen, auch Menschen sein, die das Medium missbrauchen und es gegen andere Menschen einsetzen. Oder Personen, die wir aufgrund ihrer intolerablen Meinungen ganz einfach scheiße finden. Zu Beginn ist es leicht, solche Menschen aus einer Gruppendynamik herauszuhalten. Aber es ist grundfalsch. Denn wir werden nur Lösungen finden, wenn wir die ganze Vielfalt, die uns ausmacht, auch nutzen. Das ist ebenfalls ein Gedanke, der sich bereits im „alten“ Internetoptimismus findet. Was wir trotz dieses mächtigen Instruments und trotz aller damit verbundener Euphorie in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft haben, ist, unsere kleinen, persönlichen Befindlichkeiten für ein größeres Ziel hintan zu stellen. Und meine steile These zum Abschluss hier ist: Vielleicht ist der Missbrauch des Internet durch die Geheimdienste ein Glücksfall für uns. Weil er uns enger zusammenbringt. Vielleicht ist das der mächtige Endgegner, den hier alle gebraucht haben, um das Spiel gemeinsam durchzuspielen.

Der neue Internetoptimismus, den wir brauchen, ist eine gesunde Mischung aus dem vorgeschlagenen Realismus, und dem Besinnen auf den alten, mindestens immer noch genau so gültigen Optimismus. Insofern kann es hilfreich sein, sich, vielleicht sogar zuversichtlich lächelnd, an etwas bereits Geäußertes zu erinnern. Dabei Pathos für einen Moment wieder zuzulassen. Und eine alte, euphorisch-optimistische Idee, die den Titel Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace trug, zu bekräftigen:

Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr.

Wir besitzen keine gewählte Regierung, und wir werden wohl auch nie eine bekommen – und so wende ich mich mit keiner größeren Autorität an Euch als der, mit der die Freiheit selber spricht. Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir errichten, als gänzlich unabhängig von der Tyrannei, die Ihr über uns auszuüben anstrebt. Ihr habt hier kein moralisches Recht zu regieren noch besitzt Ihr Methoden, es zu erzwingen, die wir zu befürchten hätten.
(John Perry Barlow, 1996)

  1. So lange es noch keine Alternativen gibt, werden diejenigen unter uns, die gesehen haben, was alles aus aktiver Online-Vernetzung entstehen kann, die Kanäle weiterhin nutzen.

    Richtig. In meinen Augen sollte die Diskussion hauptsächlich um die Alternativen gehen. Welche Optionen haben wir? Welche Alternativen zu den sozialen Netzwerken können wir aufbauen?

    Diese Fragen finde ich wichtiger, als darüber zu debattieren, weshalb das Internet in der jetzigen Form kaputt ist. Sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen ist auch weniger depressiv; im Gegenteil: es wäre optimistisch!

    Der neue Internetoptimismus, den wir brauchen, ist eine gesunde Mischung aus dem vorgeschlagenen Realismus, und dem Besinnen auf den alten, mindestens immer noch genau so gültigen Optimismus.

    Da stimme ich dir vollkommen zu! Und das ist auch der Grund, weshalb ich mich bisher aus der Debatte heraus gehalten habe. Sie jammert mir zu viel herum, anstatt es anzupacken.

    Sehr schöner Blog Beitrag, Juna!

  2. Was bitte soll denn diese Netzpubertät sein? Ich kann mit dem Begrif nichts anfangen. Bei jeder Technik gibt es Leute, die fabelhafte Dinge damit anstellen, weil sie ihr mit Haut und Haaren verfallen sind. Aber war Johannes Gutenberg jetzt gleich Druckerpressenpubertär? Steve Wotzniak Lötkolbenpubertär? Nicht wirklich, oder? Ich mag den Begriff nicht sonderlich.

    Und was denn Internetoptimismus angeht? Was ist an dem alten denn schlecht, nur weil ein Selbstdarsteller mit komischer Frisur jetzt rumheult? Geh fott! Weder mein Optimisums noch mein Netz sind kaputt. Dann halte ich es lieber mit Helmut, der mir irgendwann hoffentlich detailliert erklärt, wie er das mit dem Microblog auf die Beine gestellt hat 😉

  3. Anita

    Was bedeutet denn das Internet heute wie damals für das “Wir”.

    Meines Erachtens kann man das Internet nur dann “mundtot” machen, wenn man die Stecker zieht.

    Aber selbst China oder jetzt die Türkei bekommen es nicht gänzlich hin.

    Und das ist es, was den Mächtigen so Angst macht.

    Das Nachrichten sich wirklich schneller verbreiten lassen. Und die, die Willens sind, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Internet eben dafür nutzen.

    Es dauert heute effektiv nicht mehr so lange, bis Missstände aufgezeigt werden. Und Meinungsbildung ist nicht mehr “nur” von Hauptmedien abhängig.

    Und das kann auch die beste Überwachung nur sehr schlecht stoppen.

    Die Gruppen/Organisationen/Politiker, die mit dieser Meinungsbildung und Informationsquelle ein Problem haben, sind die; die Angst haben, dass ihre “Machenschaften” schneller durchschaut werden und mehr Menschen aufmerksam hinschauen.

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