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In eigener Sache, Kinder

Liebe künftige Bundesregierung

Christopher Weckwerth fragt für die Zeitonline:
“Welches Thema kommt im Wahlkampf zu kurz? Wo müsste dringend gehandelt werden? Schreiben Sie uns, was Sie sich von der nächsten Bundesregierung wünschen.”

Gerne. Weil ich aber verlinken möchte, schreibe ich keinen Leserartikel, sondern einen Blogpost. Danke an Frank Hurlemann für die Idee.

Dabei ist “zu kurz kommen” leider bei dem Thema, das mir am Herzen liegt, nicht ganz richtig. Neben den Kernthemen der Parteien sprechen durchaus alle auch von den Familien und wie sie gestärkt werden sollen.
Die Slogans kennen wir dabei zur Genüge. Vor den Wahlen wird das jahrzehntealte Lied parteiübergreifend wieder angestimmt:

“Die Kinder sind unsere Zukunft. Wir müssen die Familien stärken. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss gewährleistet werden.”
Manchmal gibt es während der Legislaturperiode dann auch eine von der neuen Regierung initiierte Maßnahme. Hier unterscheiden sich die Parteien wieder voneinander. Allerdings meistens nur im Grad der Gruseligkeit ihrer Maßnahmen. Der letzte Anschlag sowohl auf unsere Zukunft als auch auf unsere geistige Gesundheit: Die Herdprämie.

Aber wir wollen ja nicht nur motzen, die Zeitonline will Konkretes. Rumranten kann bekanntlich jeder, vor allem im Internetz. Also, mein Brief:

Liebe künftige Bundesregierung,

als verhältnismäßig junge (asozial?) Mutter von drei Kindern (asozial!) mit akademischer Ausbildung (verschenkt!), deren Familie zu 100% vom Verdienst des Mannes lebt (Ehegattensplittingnutznießerin!), bitte ich Euch in puncto Familienpolitik um etwas sehr sehr Schweres:

Ich bitte Euch, Eure Klappen zu halten und zuzuhören.
Während Ihr Euch überlegt, wie Ihr die Herdprämie wieder loswerdet und dennoch die vielen Kita-Plätze zur Verfügung stellt, die Ihr oder Eure Vorgänger versprochen habt, kümmerten sich andere bereits um die konkreten Bedürfnisse von Familien in Deutschland. Ich verlinke hier den Forderungskatalog der Initiative Familie 2.0.
Die Familie 2.0 hat die Arbeit bereits erledigt. Sie hat sich für Euch gefragt, was
Mütter und Väter in unserer heutigen Gesellschaft brauchen. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Integration von Familien mit Migrationshintergrund, für die Förderung der Kinder, für die Akzeptanz und Anerkennung der Leistungen der Eltern.
Ihr müsst jetzt zuhören. Das ist für den ein- oder anderen eine neue Erfahrung;-)

Im Folgenden führe ich einige Dinge weiter aus, die mir persönlich besonders am Herzen liegen. Und die – im Wahlkampf, aber vor allem in der darauf folgenden Legislaturperiode – deshalb stets zu kurz kommen, weil Ihr an den Experten vorbei regiert.

Ich würde mir wünschen, dass künftig ein (normales) Gehalt wieder reicht, eine durchschnittliche Familie zu ernähren. Damit es in Zukunft wieder die Entscheidung der Familien ist, welcher Elternteil wie viel arbeiten möchte. Wenn ich noch einmal lesen muss, dass Arbeitnehmer in Deutschland Zweitjobs aufgrund ihrer Konsumlust haben, dann kotze ich. Im Strahl.

Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass Ihr Euch um die tatsächlichen Arbeitsbedürfnisse moderner Familien kümmert. Unsere im Berufsleben Stehenden sind in aller Regel permanent erreichbar, via Mail, Smartphones und Facetime-Apps. Der Arbeitsmarkt aber besteht immer noch auf den üblichen Arbeitszeiten – und nimmt damit keinerlei Rücksicht auf berufstätige Eltern, die Schulferien überbrücken oder ein krankes zweijähriges Kind betreuen müssen, weil es nicht in die Kita kann. Ihr sagt, das sei die freie Wirtschaft. Da hätte man auch keinen Einfluss. Echt?

Ich würde mir wünschen, dass öffentliche Einrichtungen der Wirtschaft mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeiter wesentlich flexibler gestalten. Wieso sollte eine Mutter, deren Mann den üblichen 9 to 5-Job hat, nicht in den Abendstunden arbeiten können, wenn sie das möchte? Wieso kann sie die Arbeit nicht bei voller Anrechnung am Wochenende machen, wenn sie ihre Kinder in Krankheitsfällen selbst betreuen möchte? Was ist mit Home Office? Glaubt Ihr auch immer noch, die Qualität der Arbeit würde unter solchen Maßnahmen leiden? Und wo ist, darüber hinaus, der Anreiz unserer Regierung für die Unternehmen, von sich aus Betriebskindergärten und Notfallbetreuungen anzubieten, wenn man schon auf der Kernzeit besteht?

Ich würde mir wünschen, dass das Bild des Elternzeit-nehmenden Vaters genauso aufgewertet wird wie das Bild der berufstätigen Mutter. Beides braucht dringend einen öffentlichkeitswirksamen Imagewechsel. Den schafft man aber nicht, wenn die deutsche Vorzeigemutter Ursula von der Leyen heißt. Und die Kinder des deutschen Vorzeigevaters so gut wie unsichtbar sind. Ich würde mir wünschen, dass der Weg, mehr qualifizierten Frauen den Berufs(wieder)einstieg zu ermöglichen, nicht über die Frauenquote führt. Sondern über positive Verstärkung, das Einnehmen einer Vorbildfunktion und das Propagieren eines realistischen Bildes von arbeitenden Eltern. Dabei ist eine umfassende, echte Gleichstellung nicht nur von Eltern, sondern von Männern und Frauen im Allgemeinen, zwingend notwendig.
Das Festhalten am Erziehungsjahr, der Druck auf die Unternehmen, dieses Jahr anzuerkennen, sind zwei einfach umzusetzende Maßnahmen. Ein positives, realistisches Frauenbild zu schaffen, das nichts mit den Working Moms aus den Hochglanzzeitschriften zu tun hat, ist schon eine schwerere.

Ihr sagt, die Kinder sind unsere Zukunft. Ihr sagt, die Familien müssen unterstützt werden. Dann fragt doch auch mal nach, welche Unterstützung denn benötigt wird. Antworten gibt es darauf en masse.
Man kann googeln. Man kann aber auch zunächst diese beiden umwerfenden Beiträge zweier Mütter lesen. Und die Kommentare. Und die verlinkten Artikel. Und …:
Schöner Beitrag zu den verhinderten Arbeitnehmerinnen bei Achtung, Mama! und
der Rant von Sibylle als Reaktion auf einen unmöglichen Artikel bei SpOn auf Gestern, Morgen und Heute.

Liebe künftige Bundesregierung. Ich wünsche Euch alles Gute. Ihr seid nicht gerade zu beneiden, von Eurem Gehalt einmal abgesehen. Vielleicht schafft Ihr es ja, zwischen der Sicherung unserer Grundrechte und der Energiewende mal an die Familien zu denken.

Eine Wählerin

Nachtrag 1: Habe gerade den unterirdischen Werbespot der Merkelpartei gesehen. Ha! Familien sind tatsächlich mal GAR KEIN THEMA! Die Sicherheit frisst ihre Kinder. Oder so ähnlich. Nun passt der Beitrag noch besser.

  1. Bravo! Und 100% Zustimmung von meiner Seite. Auch wenn der Wunsch dass Politiker zuhören eher weltfremd ist, fürs zu^H^Habhören haben wir doch unsere Geheimdienste…

  2. Ich musste schmunzeln über Deinen Brief und ein wenig habe ich mich auch erkannt. Meine Zustimmung hast Du. Allerdings ist es auch beim Thema Familienpolitik so, dass man es nicht jedem recht machen kann. Diese “Herdprämie” (schreckliches Wort) war am Anfang des Gedankens keine schlechte Idee. Nur wie meist in unserem Land: Was dann letztlich “hinten rauskommt”, hat mit dem, was urprünglich der Motor war, nicht mehr viel gemein. Leider!

    • Ja, da stimme ich Dir zu. Auch wenn in meinem Text recht harsch formuliert, war die ursprüngliche Idee der Unterstützung von Familien, die keinen Platz in Anspruch nehmen können, durchaus eine gute. Durch viele verschiedene Faktoren wurde letztlich daraus die kleine Katastrophe der Herdprämie. Dass sich in diesem Punkt wohl die meisten einig sind, zeigt unter anderem die (aktuelle) Ablehnung der meisten Politiker, sowie die geringe Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes. Zwar sehe ich, was Du meinst, wenn Du sagst, man könne es nicht jedem Recht machen. Aber es gibt Maßnahmen, die den meisten Familien helfen würden. Der Punkt war hier eher, dass man diese, also “die meisten Familien” vielleicht auch mal fragen sollte;-) Wie im obigen Kommentar @baltonwytrainer aber schon festgestellt hat: Leider gehört das Zuhören aber übergreifend nicht zu den Kernkompetenzen der meisten Politiker;-)
      Danke für Deinen Kommentar!

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