Das Netz ist das, was Du draus machst

Internet und Gesellschaft, Minenfelder

Zwischenrant Internet

Hier ist ein Bild aus Wismar zu sehen, eine geklinkerte Hausfassade (Backstein-Gothik) mit einer alten, eingemeißelten Schrift. Die Inschrift lautet: "Dampf- Wasch und Plättanstalt"

Es nervt mich kollossal. Keine Initiative, kein Engagement für einen guten Zweck, keine neue Idee und keine Diskussion in diesem unserem Internet ohne die Korinthenkackerei selbsternannter Experten.

Das kleine StartUp, das mit großem Engagement den Ausbau regenerativer Energien fördert? Beschäftigt zwei unbezahlte Praktikanten. Ausbeutung! Das neue soziale Netzwerk, das den Nutzer nicht zum Produkt machen möchte? Hat sich durch Venture Capital finanziert. Betrug! Die Initiative von Ursula von der Leyen, Soldaten und Freiwillige nach Afrika zu schicken? Es fehlen wichtige Strukturen und Anlaufstellen. Fehlorganisiert! Die ehrenamtlichen Helferinnen, die im Dezember für die Obdachlosen Tee und Kaffee kochen? Stützen fatalerweise das mangelhafte Sozialsystem. Menschenverachtend! Eine Rede einer Schauspielerin vor dem UN-Rat zum Thema Feminismus? White-privileged Hetera transportiert das Gesinnungsdiktat der Reichen, Feminismus wird zur Modeerscheinung (zum “Mainstream”), die Darstellung von Frauen als schutzbedürftig ist unmöglich, es geht bei “#HeforShe” nicht um Gleichberechtigung, BUT WHAT ABOUT THE MENZ ??? Die Diskussion will gar nicht abreißen. Und wisst Ihr was?

Es kotzt mich an.

Nicht, dass ich kritische Nachfragen nicht schätze, oder insgesamt den Diskurs fürchte, oder sonst etwas gegen genaues Hinschauen habe. Aber … HEY, könnten wir vielleicht alle bitte mal wieder runterkommen??

Ein großer Vorteil, wenn man seit einiger Zeit bereits zu den “Gutmenschenfaschisten” gehört (wird mir so im Schnitt einmal pro Woche an den Kopf geworfen), ist: Es wird ein Muster in diesen “Argumenten” erkennbar. Im Folgenden nenne ich diese Gruppe der vorgetäuschten Denkanstöße Scheinargumente.

Scheinargument 1 gründet sich auf den Verdacht einer Person/ Gruppe XY, dass an einer bestimmten Sache (Initiative, Engagement etc.) irgend etwas nicht stimmen kann. Es wird also mit der Lupe nach Unstimmigkeiten gesucht und – ha! – natürlich gefunden. Die Unstimmigkeiten werden unter einer gewissen Aufmerksamkeit und großem Tamtam in der jeweiligen Filterbubble verkündet. Dabei spielt es nicht immer eine wesentliche Rolle, ob alle Fakten stimmen. In einem facebook-Kommentar hält sich ohnehin keiner an so eine Art “Wahrheit”. Da geht es um das schnelle Kreieren eines Konsens. Erfolg definiert sich dann durch das Aufgreifen eines Sachverhalts durch andere. Jetzt hat man es geschafft! Die doofe, geheuchelte Initiative oder Organisation ist gerufmordet, die Initiatoren sind diskreditiert. Chapeau!

Scheinargument 2 zieht dann, wenn sich wider Wahrscheinlichkeit doch nicht gleich etwas finden lässt. In diesem Fall wird das betreffende Engagement in der superobjektiven, weltweit gültigen Tabelle der Wertigkeiten verortet und in Beziehung zu anderem Unrecht in der Welt gesetzt. Wir können es auch das “Aber in AFRIKA hungern die Kinder!”-Argument nennen. Es soll heißen: Warum engagierst Du Dich für XY, wenn es doch eigentlich viel schlimmeres Unrecht gibt?

Scheinargument 3, das ultimative Argument, richtet sich gegen eine diffuse Gruppe, gerne als “Ihr” bezeichnet, und wird als letztes Ass in einer bereits hässlich gewordenen Debatte aus dem Ärmel gezogen. Es ist der Vorwurf, die mit “ihr” bezeichnete und selten real existierende Gruppe wolle durch moralische Überlegenheit Druck auf die Gesprächspartner ausüben. Man selbst solle sich “schlecht fühlen”, die “Moralkeule würde geschwungen”, die “Gesinnungspolizei habe erneut zugeschlagen”. Das ist meist der Punkt einer Debatte, an der viele der Beteiligten sie zu Recht für beendet erklären.

Was ist nun so grundfalsch an dieser Form der Argumentation, dass es mir einen eigenen Blogpost wert war, obwohl doch bereits genügend andere Beiträge zur Diskussionskultur im Internet gelesen werden können? Es ist das Ziel dieser Argumente.

Nimmt sich ein engagierter Mensch vor, eine Initiative oder ein Projekt genau unter die Lupe zu nehmen und sachlich zu kritisieren bzw. Nachbesserungen vorzuschlagen, ist der Diskurs vollkommen intakt. In kurz: Es ist dann alles gut! Aber meistens ist es nicht so. Meistens zielen alle drei Formen des Scheinarguments auf eines: Rechtfertigung des eigenen Nicht-Engagements. Menschen sind bequem. Sie wollen sich nicht bewegen, und sie wollen vor allem nicht enttäuscht werden, wenn sie sich bewegt haben. Und sie wollen kein schlechtes Gewissen, wenn andere sich bewegen. Daher diese Argumentationsstruktur. Um zu zeigen, dass das Engagement anderer auf irgend eine Art und Weise falsch ist, und dass es wesentlich besser ist, einfach gar nichts zu tun. Weder in dieser, noch in einer anderen Sache.

Wenn wir uns selbst dabei ertappen, wie wir etwas schlecht reden, bloß weil wir kein Teil davon sein wollen, bloß, weil wir uns selbst in der betreffenden Sache nicht engagieren können oder wollen – könnten wir uns dann nur für eine Weile den ganzen Zirkus sparen? Einfach NICHT allen anderen erklären, dass ihre Ideen, ihr Engagement, ihre Projekte nichts wert sind?

Ehrlich, ich kann es nicht mehr lesen.

 

 

Bild: Debatten im Internet sollten keine Dampf- Wasch- und Plättanstalt sein.

Links:

Ela schreibt “Wir sind doch alle Individuen” und hat sich die Diskussion um die Emma-Watson-Initiative genauer angesehen.

 

 

  1. Du hattest mich bei der “Korinthenkackerei”.

  2. Danke, für diesen Artikel. Echt. Mich treibt schon direkt ein bissl die Angst rum, für das was ich mache, weil diese Korinthenkackerei wie du sagst auch nicht viel andere Auswirkungen hat als das übliche Trollen. Sie diskreditiert gleich mal alles in ihrem Ansatz und lässt nur mehr verbrannte Erde zurück anstatt Weiterentwicklung zu ermöglichen.

    Das kanns echt nicht sein. Aber so muss das scheinbar sein in einer Neid-Kultur. Alles was mir selbst nicht eingefallen ist, muss erstmal scheiße sein. 🙁

  3. Du schreibst, dass der Diskurs vollkommen intakt sei, wenn engagierte Menschen eine Sache analysieren, sachlich Kritik üben usw. In Kurzform: Dann sei alles gut.

    In einer idealen Welt wäre dann alles gut. In unserer Welt ist es aber nicht so.

    Ich bin ja so einer, der gern Zahlen unter die Lupe nimmt, die in der Propaganda, in der PR und in den Qualitätsmedien veröffentlicht werden. Es gehört zu meinem Selbstverständnis, dass ich dabei ruhig und eher zurückhaltend bleibe, aber in der Sache keine Kompromisse mache: Wenn Dinge verzerrt dargestellt werden, will ich darüber aufklären.

    Unter der Lupe zeigt sich oft: Die Zahlen sind aus dem Zusammenhang gerissen, nicht repräsentativ oder gar verzerrt dargestellt. Aber das ist aus Sicht der Absender fast immer mit einer »guten Absicht« geschehen. Diese Absender sehen den Kritiker dann natürlich als Herzlosen, als Troll, als Spielverderber …

    Zur Aufzählung der drei Scheinargumente.

    Das erste ist das »argumentum ad personam« und im übertragenen Sinne das »argumentum ad organisationam«. Es ist einerseits eine unangenehme rhetorische Figur, die man möglichst vermeiden sollte. Es zeugt außerdem in der Regel von einem Vorurteil. Aber de facto haben die richtigen Vorurteile in der Evolution auch einen Sinn: Wenn wir schnell reagieren müssen, verschaffen sie uns einen Wettbewerbsvorteil. Und wenn Akteure immer wieder unfair argumentieren, greife ich auch nach diesem Werkzeug.

    Das zweite Argument kann man ganz schwer diskutieren, weil [vermutlich] jeder von uns das Gefühl der Prokrastination kennt. Ich habe noch die dringenden Dinge X, Y und Z zu erledigen, aber ich gehe an A und B, weil die mehr Spaß machen. Da gibt es eine Selbstwahrnehmung und viele Fremdwahrnehmungen. Ich denke, es ist fair, wenn jemand seine Fremdwahrnehmung kundtut – vor allem dann, wenn es um gesellschaftliche Ressourcen geht.

    Zum dritten Argument aus meiner eigenen Erfahrung: Wenn man bestimmte Organisationen oder Zustände kritisiert, wird entweder wirklich die Moralkeule geschwungen, oder der Kritiker wird ausgegrenzt, oder er wird offen bekämpft. Ich bekomme per Mail oder Blog auch Drohungen nur für das Geraderücken von Fakten. Ich filtere da inzwischen sehr viel raus …

    Ein prominentes Beispiel aus einem anderen gesellschaftlichen Gebiet: Die Reaktion der radikalen Gender- und Feminismusfraktion auf moderate Frauenrechtlerinnen, auf moderate Männerrechtler und auf die Idee des freiwilligen, friedlichen Ausgleichs zwischen den Geschlechtern. Da sind nicht nur virtuelle Moralkeulen im Einsatz.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Ich denke, dass Du hier komplett andere Diskussionssituationen vor Augen hast als ich. Oben habe ich ein paar der konkreten Situationen in sehr kurz angerissen, die mich diese Woche fast verzweifeln ließen. Es geht und ging in allen diesen Beispielen (und in vielen anderen Debatten auch) nicht um das Geraderücken, das In-Beziehung-zu-anderen-Zahlen-Setzen oder die konstruktive Kritik im Sinne von “Wenn Ihr glaubwürdig sein wollt, solltet Ihr nicht unbedingt dies und jenes tun, sondern … “. Nein, es geht schlicht um ein Miesmachen, und das aus einem recht unrühmlichen Grund, nämlich, um sich selbst besser zu stellen. Wenn sich engagierte Menschen, und davon gibt es zum Glück sehr viele, über ihre Fremd- und Selbstwahrnehmung austauschen (wie Du es in Bezug auf Argument 2 geschildert hast), gibt es selten ein Bashing des jeweils anderen. Denn jeder, der sich für etwas einsetzt, weiß, dass es für jedes Thema Menschen geben muss, die sich darum kümmern. Den Punkt mit den gesellschaftlichen Ressourcen sehe ich nicht. Wir sind immer noch ein freies Land, niemand wird zu einem bestimmten Engagement gezwungen. Stell Dir vor, jede_r, der die eigene Energie auf Veganerbashing, das Miesmachen regenerativer Energien, das Lachen über Froschzäunebauer etc. verschwendet, würde einen Zweck finden, für den er_sie sich engagieren könnte. Ohne, dass jemand anderes mit der “Kinder-in-Afrika”-Keule kommt. Was wäre das für ein Land, für ein Planet! Gesellschaftliche Ressourcen haben wir, jede Menge. Mitunter fehlt das Geld. Aber es kostet auch nicht alles auf der Welt eine Unsumme, und das Internet macht so vieles möglich. Siehe meine letzte Lieblingsinitiative, das Crowdfunding für 12 Monate bedingungsloses Grundeinkommen.

      Eine weitere Einschränkung, die ich hier aber komplett gelten lassen möchte, ist der Einwand (den ich vielleicht nur in Deinen Kommentar hineindeute, dann entschuldige), das, was mir hier vorschwebt, würde bedingt durch eine finanziell abgesicherte Situation und eine Handvoll Privilegien. Das stimmt, und ich erwarte nicht von Menschen ohne diese Privilegien, dass sie samstags in der Suppenküche stehen. Oder dem Nabu beitreten. Gleichzeitig, wenn jemand wie diese Woche ein Engagement, das nur AUS DIESEM GRUND überhaupt existent ist, schlechtmacht, also quasi die finanzielle Unabhängigkeit oder Berühmtheit als Argument GEGEN das Engagement benutzt – konkret: Wenn Emma Watson vorgeworfen wird, sie sei “nur eine privilegierte weiße Hetera”, die sich für den Feminismus einsetzen kann, weil sie keine anderen Sorgen hat, dann kotze ich im Strahl ob der Paradoxie einer solchen “Argumentation”. Und weil ich nicht sicher bin, ob Du das tatsächlich hast mitschwingen lassen, benutze ich dieses Beispiel nun einfach gekonnt als Überleitung zu Deinem letzten Punkt:

      Ja, Du hast Recht. Da kommen Absurditäten zusammen, bei denen man nur mit den Ohren schlackern kann. Allerdings wehre ich mich nach wie vor gegen die Darstellung einzelner Personen als einer “Fraktion” oder homogenen Gruppe. Sowohl auf der einen als auch auf der anderen “Seite” dieser gesellschaftlichen Debatte gibt es einzelne, wenige Hassakteure. Diese haben meiner Meinung nach ein ernstzunehmendes psychologisches Problem, das nichts mit ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihrer Intelligenz zu tun hat. Letzte Woche las ich einen Artikel mit der ungefähren Überschrift “Man kann das Internet nicht für seine psychologischen Probleme verantwortlich machen”. Man sollte auch das richtige und wichtige Engagement so vieler nicht für einzelne Vollidioten verantwortlich machen. Ich verweise in diesem Zusammenhang immer so gerne auf @kusanowsky, der das Trollen erforscht, denn um nichts anderes handelt es sich da. Bei diesem Post aber bezog ich mich ausdrücklich nicht auf diese Menschen, die ich nach wie vor für ein Randphänomen halte. Bei dem man sicher gut daran tut, sie eben NICHT einer bestimmten Gruppe zuzuordnen. Das diskreditiert alle anderen dieser Gruppe / Bewegung/ Initiative. Wir können uns im Zeitalter des Individualismus ein wenig mehr Differenzierung erlauben, denke ich. Nein, hier war eine allgemeine Haltung gemeint, die wir alle manchmal einnehmen. Das Systematisieren kann dazu dienen, Kritik einzuordnen, auch mal wegzuschieben, oder um eigene kommunikative Strategien zu entwickeln. Dem Miesmachen zu begegnen, indem man zB fragt, wofür sich die kritisierende Person denn genau einsetzt? Oder aus welchem Grund gerade kritisiert wird. Und unsere eigene evtl. negative Reaktion auf etwas zu reflektieren: Warum bin ich gerade dagegen, was kritisiere ich? Und wenn ich am Ende nur meine eigene Bequemlichkeit rechtfertige: Sollte ich das mit der Kritik nicht noch einmal überdenken?

  4. schön geschrieben und solche blogpost sind der grund, warum es in meinem feedreader eine kategorie “worthreading” gibt. lesenswert!

    ich habe die vielfalt der informationen und meinungen, die man via twitter und blogs entdecken kann selbst erst vor kurzem “richtig realisiert” und liebe es.
    ich kann mir aber gut vorstellen, wie diese informationsflut überfordern kann und menschen zu lemmingen mutieren. über die gruppe menschen, die nörgelt und kritisiert ohne “sinn & verstand” kann man leider nur den kopf schütteln.

    sonnigen gruss!
    stefanie

  5. Rechtfertigung des eigenen Nicht-Engagements.

    Bingo. Ich bestätige extremst! Immer das gleiche mit den Menschen.

  6. Ich stimme prinzipiell total zu, möchte aber gerne eine eigene Bemerkung — die auch gar nicht im Widerspruch steht, versprochen! — beisteuern. Es scheint mir, als wären viele Menschen (und da insbesondere Männer) der Ansicht, ihre Meinungen zu sehr vielen Themen wären für alle anderen ähnlich relevant wie für sie selbst, müssen also auf jeden Fall geteilt und verteidigt werden — und von allen andern im Diskurs auch hinreichend gewürdigt. Insbesondere in Fällen, wo diese Meinung aber alleine (ohne Wissen und Ahnung) daherkommt, mag das ganz schön schwierig sein.

    Als ich das für mich mal verstanden hatte, begann ich, mich darin zu üben, auch einfach mal nichts zu einer Diskussion beizutragen. Das schaffe ich zwar nicht immer, aber ich werde besser …

  7. Vorweg, gut analysiert. Ich kann beide Seiten gut verstehen, in der Vergangenheit war ich politisch sehr aktiv und in Strukturen eingebunden. Aus verschiedenen Gründen ist das momentan nicht mehr der Fall. Als ich selbst noch etwas auf die Beine gestellt habe, habe ich mich furchtbar darüber geärgert, wenn mein Engagement mit eben jenen Argumenten bagatellisiert wurde. Heute bin ich es, der die Feder schwingt bzw. in die Tasten haut und unberufen seine Meinung äußert, was mir gestern den Unmut eines Freundes eingetragen hat. Vielleicht liegt der Fehler in einer solchen “KritikerPosition” darin, irrigerweise zu glauben, dass das eigene Tun selbst schon Engagement sei. Danke für deinen Text.

  8. Testkommentar \o/

  9. doppelfish

    Captchas are so schwoerig.

  10. Tja, da hast Du leider in sehr Recht, die Diskussionskultur im Netz ist leider sehr suboptimal. Und der Neid auf andere die tatsächlich etwas tun braucht dann ein Ventil, eben auch das Ventil dieses Aktion wieder schlecht zu machen.

    Es ist ein sehr schmaler Grat wenn man neue Ideen diskutiert. Das habe ich aktuell live mit einer pubertierenden Tochter welche den Kopf voller toller Ideen hat und welche auch noch nicht so abgestumpft ist, das nicht auch ausprobieren zu wollen. Das ist toll, denn viele der Dinge die wir heute als selbstverständlich ansehen wurden geschaffen, weil irgendwer die Idee hatte und da sehr unvoreingenommen ran gegangen ist diese Idee auch in die Tat umzusetzen, selbst wenn viele meinten “das geht so nicht”. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch genügend Lebenserfahrung um zu wissen, dass man in Zeiten von leeren Gemeindekassen nicht mal so eben ein Jugendtreff aus dem Boden stampft. Soll ich ihr nun die Illusion nehmen, dass sie das schafft, oder soll ich sie loslaufen lassen um sie dann aufzufangen wenn es erwatungsgemäß schief läuft? 😉

    Vor vielen Jahren habe ich mal ein Intensivtraining in Problemanalyse und Lösungsimplementation gemacht und da gab es auch den ganz wichtigen Hinweis, dass man eine Lösung nur dann implementiert bekommt, wenn man sich auch Gedanken über die Hürden macht, die zu überwinden sind. Aber das hat mit Deinem Rant ja wenig zu tun, denn Dich nerven ja die Trolle, die sich außer “wie kann ich der eins reinwürgen” eh keine Gedanken machen.

    So, just my 2 Test-Cents für den Captcha. 😉

  11. “Soll ich ihr nun die Illusion nehmen, dass sie das schafft, oder soll ich sie loslaufen lassen um sie dann aufzufangen wenn es erwartungsgemäß schief läuft? ”

    Ich denke, lieber Herr König, das ist noch mal ein “drüber schlafen” wert. Zum “loslaufen lassen” gibt es nach meiner Meinung keine Alternative. Wie sollen sich sonst Erfahrungen, auch die, die weh tun, bilden? Wir müssen wohl alle durch diese tiefen Täler geh`n, die “erwartungsgemäß” aus Sicht unserer Vormünder, schief gelaufen wären. Sollte es in diesem Fall dennoch funktionieren, wer wäre dann der Enttäuschte?

    Allerdings, sollte dann wirklich ein Auffangen notwendig werden, hhm…, keine Ahnung, wie ich dann reagieren würde. Hoffen wir also, dass diese Frage gar nicht zur Beantwortung anstehen wird:)

    An diesem gesamten Thema kaue ich aber auch schon die letzten Tage dran rum. Und ich frage mich:
    Woher kommt der Glaube zu meinen, ich habe Recht?
    Und daraus ebenso, der andere hat eben NICHT Recht.

    Extrem erschwerend, und ich meine fast entscheidend, kommt in dieser Fragestellung hinzu, dass “der Ton” die Musik macht. Doch selbst in diesem, zum kotzen erscheinenden Austausch, wird dort nicht die eigene Energie und Kraft abgefragt, die es zum Durchhalten benötigt?

    Sicher, man kann der Meinung sein, dass in dieser Kontroverse unnötige Energie verschleudert werden, die besser für das eigentliche Projekt genutzt würden. Aber haben vielleicht große Ideen nicht erst ihren Durchbruch geschafft, indem sie gerade in der Kontroverse die unbedingt notwendige Kraft entwickeln konnten, die es dafür benötigte?

    Das würde in der Folge heißen, dass die Ideen/Vorhaben, die in diesem Diskurs Schiffbruch erlitten haben es vielleicht auch nie wert waren, weiter zu kommen.

    Kurzum: Ich meine, diesen Dingen muss man sich stellen.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Vielen Dank für diesen Kommentar. Nicht nur (aber auch ein bisschen ;-)), weil ich gerne ganz ähnlich geantwortet hätte und nicht dazu kam.

      Im Hinblick auf sowohl Mediennutzung als auch Engagement von Kindern und Jugendlichen kann ich eigentlich auch nur sagen: Mut machen, den Rücken stärken und sie hineinlaufen lassen. Aber sie auch warnen, mit was für einem Gegenwind sie evtl. zu rechnen haben, auch wenn sie sich mit ihren Ideen ins Netz begeben, was heute eigentlich zwangsläufig der Fall ist, auch weil man auf diese Weise viele Unterstützer findet, die außerhalb der eigenen RL-Reichweite liegen. Manchmal erleben Eltern dabei eine Überraschung. So haben Johnny und Tanja Häusler in ihrem lesenswerten Buch “Netzgemüse” den Fall beschrieben, in dem ihr damals ca. 13-jähriger von einem Troll auf youtube angegangen wurde. Sie selbst waren entsetzt, der Sohn nahm es insgesamt aber recht locker auf und sprach von den üblichen Trollkommentaren, die man doch einfach ignorieren solle. Hier trauen wir manchmal einer oft netzkompetenten Jugend wenig Haut zu, weil wir sie natürlich beschützen wollen.

      (Sachliche) Kritik an einem gutgemeinten Engagement tut weh, führt aber auch dazu, dass es verbessert werden kann. Auch in dieser Hinsicht lassen sich die Kinder vorbereiten, denke ich. Und die ewigen Berufsprovokateure nerven zwar (wie mich letzte Woche), aber der Austausch darüber ist – wie man hier in der Kommentarspalte wieder sehen kann – möglich und bringt einen weiter 😉 Üble Fiesitäten, Hass und Mobbing sind da natürlich die Extrembeispiele, die ich hier gar nicht so sehr vor Augen hatte. Aber das werden unsere Kinder nicht nur im Netz erfahren. Ich komme immer wieder zurück auf die Notwendigkeit von Kommunikationsunterricht bereits in der Schule, offline wie online. Das kann einiges bewirken. Und die letzte Anmerkung im Hinblick auf die Alternative: Genau so sehe ich es auch, es gibt eigentlich keine. Viel zu oft werden Menschen in unserer Gesellschaft ausgebremst, wenn sie gute Ideen haben, weil man Verletzungen oder Scheitern fürchtet. Warum haben wir alle vor dem Scheitern so entsetzlich viel Angst? Die “Ja, aber”-Fraktion an Eltern, Lehrern, später Vorgesetzten … das sind, denke ich, die wirklichen Steine.

      @Rainer: Hast Du mal für Deine Tochter an ein Crowdfunding für ihre Vorstellungen gedacht? Oder ein Basar oder eine Versteigerung, bei der man Geschäfte in der Stadt dazu bekommt, Sachen zu spenden? In HH machen sie gerade so etwas, um eine geplante Busbeschleunigung zu verhindern. Scheint großartig anzukommen … und wenn es das nicht tut, tja. Dann hat man es zumindest probiert. Ich würde auch alle Aufrufe gern und mit der entsprechenden Dramatik weiterleiten 😉 Weil ich es einfach großartig finde, wenn Kinder und Jugendliche ihre Gesellschaft gestalten. Ständig entscheiden alte weiße Menschen über ihre Schicksale. Zeit, das zu ändern …

      Ok, jetzt habe ich mich gehenlassen, weil ich aktuell an einem entsprechenden Blogpost sitze … 🙂

      • Kinder an die Macht, ja. Aber leider kenne ich das Kind seit bald 14 Jahren (Donnerstag ist es soweit) und weiß, dass es zwar tolle Ideen hat, aber in dem Moment in dem diese Ideen in richtige Arbeit ausarten die Euphorie schlagartig nachlässt. Und ich weiß auch, dass bei Fehlschlägen das nicht unbedingt als Herausforderung es nochmals anders zu versuchen gesehen wird, sondern eher als “die ganze Welt ist gegen micht und mobbt mich usw.”.
        Und Crowdfunding oder Spenden von den lokalen Geschäften… träum weiter. Ich war hier mit unserem Sportverein schon öfter am hausieren ob man spenden wolle, Fehlanzeige. Früher gab es das mal weil die Händler noch “selbständig” waren, heute sind das Merchandising-Unternehmen und die Leute im Laden haben NULL Entscheidungskompetenz.

        Aber unabhängig davon sehe ich momentan bei meiner Tochter halt auch noch andere Prioritäten als Weltverbesserung. 🙂 Schule erscheint mir altem weißen Mann derzeit wichtiger als die Einrichtung eines Jugendzentrums. Zumal sie ja den Bedarf aktuell aus ihrer Perspektive ermittelt hat. Um hier tatsächlich was zu erreichen sollte sie nicht vorpreschen sondern mal Mitstreiter suchen wie z.B. den Stadtjugendring hier der sich um so was hauptamtlich kümmert. Da kann man sicher mitarbeiten und mehr bewegen als wenn man einen relativ unbeholfenen Brief an den Bürgermeister schreibt er möge doch bitte ein Jugendzentrum am besten direkt gegenüber der eigenen Behausung einrichten, damit man es schön bequem hat. 🙂

        Sorry, das klingt für Außenstehende jetzt vielleicht sarkastisch, aber wie gesagt, ich kenne mein Mädchen recht gut und glaube daher zu wissen wie der weitere Verlauf sein wird. Und da wäre es mir dann doch lieber wenn sie ihre Energie dort investieren würde wo sie tatsächlich was bewegen kann und sich nicht da aufreibt wo sie sozusagen aus diversen nicht von ihr verschuldeten Gründen (wie kommunale Finanzknappheit) auf Granit beißt.

  12. Einen habe ich noch; es gibt da auch noch dieses berühmte Zitat von Theodore Roosevelt:

    It is not the cri­tic who counts; not the man who points out how the strong man stum­bles, or where the doer of deeds could have done them bet­ter. The credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is mar­red by dust and sweat and blood; who stri­ves vali­antly; who errs, who comes short again and again, because there is no effort wit­hout error and short­co­m­ing; but who does actually strive to do the deeds; who knows great enthu­si­asms, the great devo­ti­ons; who spends him­self in a wor­thy cause; who at the best knows in the end the tri­umph of high achie­ve­ment, and who at the worst, if he fails, at least fails while dar­ing greatly, so that his place shall never be with those cold and timid souls who neit­her know vic­tory nor defeat.

    Weil mir das so gut gefällt und ich es mir immer wieder vor Augen halten muss, habe ich es mir auch in meinen Blog kopiert 🙂

  13. auch wenn ich das thema “bei mir zuhause” aus- und abschweifender angegangen bin und eigentlich eher in richtung “einfach auch mal nein sagen können” ziele: ich denke, das, was passiert, ist eine im grunde erschreckende kombination dieses dämlichen schulhof-verhaltens, in dem sich dumme (aber meinungs-starke) pubertierende über die “brillenschlangen” hermachen und dem nicht minder erschreckenden hang dazu, seinem ersten impuls folgend ad hoc und “aus dem bauch heraus” (sic!) glaubt eine meinung haben zu _müssen_, die sofort getwittert werden muss.

    im grunde hast du mit all deinen beispielen recht, mein aktuelles lieblingsbeispiel ist die häme, mit der fefe gerade zwanghaft über öttinger herfallen muss, weil der – wie wahr – konstatiert, daß jemandem, der so dämlich ist, seine nacktbilder der cloud anzuvertrauen, im grunde nicht zu helfen ist.

    das ist so elend pubertär, daß mir schlecht wird davon.

    wenn man sich das anguckt, fühlt man sich in den sportpalast und zu himmler versetzt, in der die “blogeria” auf jeden noch so dämlichen “joke” begeistert mit den füssen trommelt. einen zweiten gedanken, einen dritten, einen vierten, eine andere meinung und noch eine und noch eine – bevor man zu einem “urteil” kommt und selbst dann noch diesem urteil mißtraut, scheint eine der tugenden zu sein, die komplett “out of fashion” geworden ist.

    ich befürchte, daß diese _konditionierung_ “uns” in absehbarer zeit tatsächlich in eben den sportpalast versetzen wird: es wird nur noch zustimmend gejohlt oder hämisch niedergetrampelt. nachdenken, über ein thema meditieren – wer macht denn noch so was?

    ähnliche reakionen gab es übrigens, um deine beispiele noch um eines zu erweitern, als publik wurde, daß jaron lanier (mit dem ich eine post zuvor ein interview bewarb) den friedenspreis des deutschen buchhandels bekommen sollte … die reaktion der üblichen verdächtigen (und seien sie so alt wie ich, wie etwa eine bekannte und beliebte katze) waren stante pede sofort vernichtend: wie kann der nur unser geliebtes internet so kritisieren – als sprächen “wir” über einen, dem man selbiges erst erklären müsse, weil er seine emails noch ausdrucken würde.

    viele sind einfach gedanklich in einem zustand von vor 6 jahren stehen geblieben, wenn sie über solche themen nachdenken sollen, und haben es verlernt “nach vorne zu denken”, sich etwas vorzustellen, die eigene phantasie zu bemühen … statt dessen wird “herumgekaut” auf klischees und projektionen, das eigene affirmiert und das fremde von der hand gewiesen.

    ach ja: mein posting “zuhause” ist natürlich – im gegensatz zu deinem – ein sehr zäher knochen und man sollte sich das nur zumuten, wenn man zeit für einen gemütlichen und langen spaziergang hat oder auf voodoobeschwörungsmäßige ausschweifungen steht – das ist nichts für das drive-by-reading 😉

    es ist eher was zum entschleunigen oder “sich einlassen auf”. ich neige halt eher zu anekdoten und weniger zu fensterreden …

    ach ja: ich empfehle auch dringendst, das interview mit byung chul han zu lesen, er scheint mir gerade einer der klügsten köpfe zu sein, der uns unseren zustand der “glätte” und wohin uns das führen kann, ganz gut erklärt.

  14. ich habe, damit ich dich hier nicht zutexte, zuhause ein bißchen blogstöcken gespielt und deinen rant als summe dessen, worüber ich nun seit jahren und gerade aktuell auf meine (sorry, born this way) eigene art und in meiner sprache fortgesetzt. um gehörig aufmerksamkeit zu bekommen, habe ich einen echten !SKANDAL! aufgegriffen und beklage ein schröcklich ungemach, das mir gerade von den leidmedien und den mainstream-ÖR’s angetan wurde …

    wenn ich das so recht bedenke (… gedankenpause …) sprichst du mir sozusagen aus der seele. nur daß ich es eben nie so schnittig hinbekomme (was ich eigentlich auch gar nicht will) wie du.

    mir geht halt immer “der gaul durch” … 😉

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Hallo, Hardy,

      nur ganz auf die Schnelle: Habe gerade Deinen Text angelesen und mich bereits sehr über Deine Formulierungen amüsiert. Am WE schaue ich mir den ganzen Kontext an (Wow, noch so ein Vielschreiber ;)), und dann würde ich Dich gerne oben noch verlinken. Schon jetzt Dank, ich schreibe wieder mit mehr Zeit.

      • verlinken ist okay, ich habe das mit den “pingbacks” irgendwie immer noch nicht “geschnallt” (ich bin nicht so hartnäckig im ausprobieren, kostet ja alles zeit 😉 )

  15. Ich hab (noch) nicht alle Tipps umgesetzt. Vielen Dank für die informative Aufstellung. 🙂

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