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Von Zwangsbasteln und Beruhigungspuzzlen

Wenn ich diese Woche mal kurz für mich zusammenfassen müsste, kämen die Wörter „Enttäuschung“ und „Scham“ zuhauf vor. Ich bin enttäuscht, wie unsere Menschenrechte mit Füßen getreten werden und wie Demokratie verstanden wird, ich schäme mich für das Verhalten der obersten Repräsentanten dieses Staates  und dafür, dass sich nicht mehr von uns öffentlich empören. Die ganze Woche las ich die Frage: „Wieso sind nicht mittlerweile tausende Menschen in Berlin auf den Straßen?“ Und einer meiner Lieblingstwitterer schrieb resigniert: „Lenin sagte: ,In Deutschland ist Revolution unmöglich, weil man dazu den Rasen betreten müsste‘“. Hm.

Aber woher kommt das denn? Schauen wir doch mal auf die Erziehung unserer jüngsten Systemmitglieder. Neulich, im Kindergarten…

In unserem alten Kindergarten, katholischer Träger, gehörte das Zwangspuzzlen zu den Standard-Bestrafungen. Nicht fürs Hauen oder mit Essen werfen, dafür gab es Gruppenausschluss. Aber für sonstiges Daneben-Benehmen. Ich kann über die einzelnen Vergehen der bestraften Kinder nichts Genaues sagen, ich war ja nicht dabei. Aber meist traf die Strafe „Puzzlen!“ die etwas aktiveren, etwas lauteren Jungs. Die durften dann nicht mit in den Hof, zum Spielen und Toben, die durften dann an einem Tisch sitzen, die Klappe halten und puzzlen. Und wir als Eltern wunderten uns wochenlang, wieso das Kind zuhause schreiend Reißaus nahm, wenn man ihm ein Puzzle vorschlug. Nun, die Einrichtung war auch in sonstiger Hinsicht ziemlich rigide. Meine Tochter erzählte mir einmal, eines der Kinder müsse jetzt „mit einem Wecker“ essen. Die Erzieherinnen hatten sich beim „freien Frühstück“ (das heißt im Grunde nur, dass jeder essen kann, wann er möchte) daran gestört, dass der Junge so langsam aß. Das muss man sich mal vorstellen! Meine Tochter petzte mir, ich petzte der Mutter, der Wecker kam weg. Aber: mal ehrlich!! Arsch offen??

In unserer jetzigen Einrichtung ist vieles anders. Und vieles besser. Die Ansprache an die Kinder ist ruhig und freundlich, es ist total ok, wenn die Kinder die Katzen bunt malen statt grau und weiß, und ich hole trotz Ganztagsbetreuung an den meisten Tagen ein Kind ab, das lieber noch nicht nach Hause will. Aber neulich gabs dann diese Geschichte:

Die Leiterin und die Erzieherinnen des Kindergartens hatten sich überlegt, die Vorschulkinder zu fragen, WER die Schultüten für ihre Einschulung basteln solle – die Kinder alleine, die Kinder mit den Eltern, die Eltern alleine… Es wurde ein wenig an den Kindern herummanipuliert, was auch gut geht, da es sich um Sechsjährige handelt, und dann wurde basisdemokratisch abgestimmt. Das lobe ich mir. Das Ergebnis versteht sich von selbst: Die Eltern sollten alleine basteln.

So weit, so völlig in Ordnung. Dann aber ging der Kindergarten in meinen Augen ein bisschen zu weit. Es gab zwei (! Ein drittes war so hässlich, dass es von vorne herein ausschied) Modelle zur Auswahl, einen Ritter und eine Fee (“Bei uns gibt es nicht die klassische Jungen- und die klassische Mädchentüte. Lassen Sie Ihr Kind selbst entscheiden!” Ach). Und es gab einen Basteltermin NACH der Betreuungszeit, zu dem sich alle Eltern einfinden sollten. Das lehnte ich ab, denn erstens weiß ich nicht, wohin mit meinen anderen Kindern, und zweitens: Wenn ich schon alleine basteln soll, dann möchte ich bitte entscheiden, wann und wie ich das tue. Und jetzt kommt der Part, an dem unser Kindergarten die NSA in den Schatten stellte. Denn wer nicht mitklebt, macht sich verdächtig! Ich geriet ins Netz der KIGA-Ermittler. Bis zum heutigen Tag bin ich sage und schreibe fünfmal auf meine Verweigerungshaltung hin interviewt worden. Ich betonte dabei immer, wie toll ich das Bastel-Angebot prinzipiell fände, dass ich aber lieber zuhause ohne Zeitdruck basteln würde, an einem Termin, der mir passt. Wenn die Kinder (vor allem der anstrengende Junior) im Bett seien. Ich wurde mehrfach darüber belehrt, dass die Entscheidung der Kinder demokratisch zustande gekommen sei, und dass man sich als Elternteil nicht einfach darüber hinweg setzen könne. Mir wurde die Besorgnis mitgeteilt, ich ließe das Kind vielleicht heimlich zuhause mitbasteln und unterwandere so die Gruppenentscheidung! Als ich dazu noch erwähnte, dass meine Tochter vielleicht ein anderes Design für die Schultüte haben wolle als die vorgeschlagene Fee, wurde ich zurecht gewiesen. Mein Kind habe sich bereits für die Fee entschieden! Um sicher zu gehen, dass ich nicht auch noch in diesem Punkt querschieße, händigte mir eine meiner Lieblingserzieherinnen die Schablonen für die Fee aus – das aber sehe „die Leiterin gar nicht so gerne“, sie habe hingegen vorgeschlagen, einen Alternativtermin auszusuchen. Eine Einzelvorladung lehnte ich aber auch höflich ab, sofern nicht weitere Beweise gegen mich vorlägen.

Ich habe inzwischen gebastelt. Eine Fee. Ich Anarcho habe die Schultüte allerdings in hellblau gestaltet und nicht, wie „vorgeschlagen“, in rosa. Weil mein Laptop bei der Bastelaktion ganz in der Nähe stand, habe ich die Webcam verhängt. Zur Sicherheit. Und ich habe ganz leise ausgeschnitten. Man weiß ja nie, womit man die Bastelpolizei auf den Plan ruft.

Natürlich übertreibe ich hier. Der Kindergarten, an dem es sehr wenig zu meckern gibt, meinte es ja vor allem eines: gut. Dennoch finde ich, das Beruhigungspuzzlen und das Zwangsbasteln offenbaren eine grundsätzliche Haltung gegenüber dem Individualismus. Die aus dem Rahmen Fallenden werden unterdrückt und überwacht, wo eben möglich. Und wenn Du schon als vier,- fünfjähriges Kind lernst, dass „Laut sein“, „Empören“ und „andere Meinung“ keine Kernkompetenzen sind, sondern auszumerzende Charakterfehler, dann … ja, dann kannst Du als Erwachsener keine Revolution mitmachen, weil Du den Rasen betreten müsstest.

In diesem Sinne, liebe Kindergärten dieser Welt: Ihr erzieht maßgeblich unsere Hoffnungsträger. Bitte helft uns, sie zu Menschen mit Meinung und Mut zu machen. Die Gesellschaft braucht mehr Eier!

(Artikelbild: Unsere Große “betritt den Rasen”)

  1. Auweija!
    Sei froh, dass sie jetzt in die Schule kommt! 😉

  2. Der Junior rückt nach:) Aber für die nächsten drei Jahre Zwangsbasteln bin ich dann gewappnet! Wann ist Deine dran?

  3. Bei Zwangsbasteln sträuben sich alle Nackenhaare zu Berge. Als Mutter, die nicht gerne bastelt ist man hierzulande offenbar in der Minderheit. Ich empfinde das auch oft so. Und ich befürchte, das hört mit er Schule (noch) nicht auf. Kopf hoch!
    P.S. Schönes Lenin-Zitat!

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