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Wege zur Selbstständigkeit

Mein Weg in die Selbstständigkeit II

Auf diesem Bild sind Buchstaben zwischen Steinen zu sehen. Sie bilden den Satz "Aber Du kannst ja drumherum gehen". Der Satz ist eine Fortsetzung des Bildes vom vorhergehenden Beitrag

Da Euch der Off-Topic-Post über meine beginnende Selbstständigkeit scheinbar ganz gut unterhalten hat, setze ich die Reihe selbstverständlich fort! Hatte ich ja ohnehin angedroht. Heute geht es um die Agentur für Arbeit. Um den folgenden Text einordnen zu können, muss ich erklären, wie mein Kontakt mit dieser Mutter aller deutschen Behörden zu Beginn des Jahres verlief:

Als ich meine Stelle Ende letzten Jahres aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, war recht schnell klar, dass ich nicht einfach zu vermitteln sein werde. Ich hatte in der Agentur für Arbeit eine sehr nette Sachbearbeiterin, die mich gut und mit viel Verständnis für meine Situation beraten hat. Wir sprachen schon bald über die Möglichkeit einer Selbstständigkeit, und über einen Gründungszuschuss, den die Agentur für Arbeit in solchen Fällen häufig gewährt. Während ich Anfang des Jahres bereits an einem Businessplan arbeitete, geschahen dann in kurzer Zeit ein paar sehr unangenehme Dinge. Zunächst wurde ich wider Erwarten wegen Eigenkündigung volle drei Monate gesperrt. Meine lange Krankheitsphase, meine Atteste, meine Erlebnisse im Job (Mobbing spielte eine nicht zu vernachlässigende Rolle) – alles war plötzlich belanglos, denn ich hätte aus Sicht des Staates ja weiter angestellt bleiben können. Theoretisch war das auch richtig. Emotional war es unmöglich, aber das interessiert das System natürlich nicht. Mit der Sperrung kam der Bewilligungsbescheid: Insgesamt wurden mir sechs Monate Leistungen bewilligt, drei ohne Geld vom Arbeitsamt, drei mit. Ich hatte unter 24 Monate eingezahlt, insofern ist das soweit korrekt gewesen. Was mir einige Wochen später mitgeteilt wurde, hatte aber selbst meine Sachbearbeiterin nicht kommen sehen: Der in Aussicht gestellte Gründungszuschuss war plötzlich hinfällig, denn die Auszahlung dieser Starthilfe ist an Fristen gebunden, die mit nur sechs Monaten Leistungsbezug nicht einzuhalten sind. Ich war mitten in meinem Antrag und tief bestürzt. Zu dieser Zeit rappelte ich mich mühsam auf, jeder Schritt kostete unglaublich viel Mühe, alle bürokratischen Gänge ein unwahrscheinliches Maß an Kraft.

Flucht in die Phantasie

Mir war klar, ich würde mich höchstwahrscheinlich dennoch selbstständig machen. Aber ich verkraftete die schnell hintereinander erfolgten Schläge über Wochen nicht. Mir ging es mies, ich war getroffen, nahm all die Schreiben und die Telefonate mit den zuständigen Bearbeiter_innen maximal persönlich, und verfluchte das System. Mir fielen Bekannte ein, die ähnliche Erfahrungen mit der Agentur machen mussten, und die sich ähnlich alleine gelassen fühlten. Meine eigene Sachbearbeiterin in Heidelberg ging nett und freundlich mit mir um, an sie konnte ich meinen Systemhass also gar nicht adressieren. Daher begann ich, die Situationen, die ich erlebte, zu fiktionalisieren. Ich stellte mir vor, wie die Gespräche verlaufen könnten, wenn ich nicht so enttäuscht, traurig und in einem so desolaten Zustand wäre. Heraus kam unter anderem der folgende Text. Viel Spaß damit!

 

Ich sitze vor dem Büro meiner Sachbearbeiterin. Erneuter Termin bei der Agentur für Arbeit. Um meine berufliche Situation zu besprechen, wie es in den Schreiben immer so hübsch heißt.

Seit einiger Zeit weiß ich, warum so viele Menschen darauf verzichten, sich arbeitssuchend zu melden. Trotz der Beiträge, die sie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Die Kontakte mit dieser Form der entmenschlichten Bürokratie sind zäh und frustrierend.

Ich werde hineingerufen.

Ob wir über meine Bemühungen sprechen könnten, eine neue Arbeit zu finden? Vielleicht wäre an meinem Bewerbungsverhalten das ein- oder andere zu verbessern. Ein professionelleres Bild, zum Beispiel? Und es gäbe ja auch Maßnahmen für Bewerbungen … außerdem käme diese Teilzeitstelle in Frage: Der Verein für Baßtölpel sucht eine Online-Redakteurin. Zudem müssten wir dringend besprechen, welche eigenen Ansprüche ich an eine Arbeit hätte. Ob ich die nicht doch ein wenig senken könne. Die Agentur könne schließlich nicht ewig für mich zahlen. (Bisher hat die Agentur kaum etwas für mich gezahlt, weil sie mich nämlich gesperrt hat, aber Schwamm drüber.)

Nein, eigentlich möchte ich nicht darüber reden, entgegne ich. Über keinen dieser Punkte. Vielmehr möchte ich gerne darüber sprechen, wie es sein kann, dass ich keinen Anspruch auf einen Gründungszuschuss für eine geplante Selbständigkeit habe. Wieso ich mich demoralisierenden bürokratischen Verfahren unterziehen muss, wenn ich versuche, gesund zu werden. Wieso ich als dreifache Mutter mit einem Doktortitel als schwer vermittelbar gelte. Was ich von Bewerbungsverfahren im Allgemeinen halte. Und von der Agentur für Arbeit im Besonderen. Was es mit Menschen macht, wenn sie in einer Gesellschaft wie dieser keine Arbeit haben, obwohl wir doch alles über unsere Arbeit definieren. Obwohl unsere Identität mit unserer Arbeit zusammenhängt, ja, sogar aus ihr heraus konstruiert wird. Warum ich gerne aufstehen und schreien möchte, wenn ich an das Menschenbild denke, das hinter der Agentur für Arbeit steht.

„Es ist keine Kritik an Ihnen als Person!“ rede ich mich in Rage und werde dabei lauter und lauter. „Es ist eine Kritik an dem ganzen, beschissenen System. Für Sie ist der Mensch von Grund auf faul, er muss mit Peitschen zur Arbeit angetrieben werden. Und seit die Peitschen nicht mehr erlaubt sind – zumindest in diesem Teil der Welt – glaubt Ihre Agentur, dass allein der monetäre Anreiz und die Androhung von Strafen die Menschen in Lohn und Brot treibt! Will ich in meiner Sperrzeit ein paar Tage zur Familie, drohen Sie mir mit einer Woche Leistungskürzung. Möchte ich einen Termin verschieben, weil ich in der Ferienzeit drei Kinder betreue, drohen Sie mir mit weiteren Leistungskürzungen. Wenn ich mich bei einem vorgeschlagenen Job nicht bewerbe, drohen Sie mir mit Leistungskürzungen, Maßnahmen und Ausschluss. DAS ist das Menschenbild, das Sie haben. In Ihren Augen sitzen wir alle sozialschmarotzend zuhause auf der Couch, und Sie müssen die neue Peitsche der Arbeitslosengeldkürzungen schwingen, damit wir überhaupt eine Chance haben, irgendwann wieder ein Teil der Leistungsgesellschaft zu werden.“ Ich habe kaum Luft geholt, stehe nun aber im Büro meiner Sachbearbeiterin, auf dem Weg zur Tür. „Und wenn jemand wie ich eine Idee hat, was sie mit dem Rest ihres Arbeitslebens gerne tun würde, dann wird diese Idee erst gegen die Aussicht auf eine Festanstellung abgewogen, dann auseinandergenommen, dann auf ihre Rentabilität hin geprüft, und dann wird am Ende dennoch der Zuschuss verweigert. WEIL die vollkommen unrealistische Frist nicht eingehalten werden konnte. Und dann sollen wir nach Hause gehen und uns gedanklich damit beschäftigen, was wir besser machen können, wenn wir uns auf Jobs bewerben, die ohnehin nicht zu uns passen. Und für die uns auch niemand einstellt. Im Grunde bräuchte jeder Mensch, der das Pech hat, sich arbeitslos melden zu müssen, parallel eine aufbauende Therapie. Weil Sie nicht helfen. Sie destabilisieren, demoralisieren, demontieren die Menschen lediglich. Und am Ende fragen wir uns alle, wie es eigentlich so weit kommen konnte, dass Menschen lediglich Ressourcen sind. Nur Zahnrädchen in einem Getriebe, das wir irgendwann erfunden haben, und das sich in jedem seiner Teile auf ein vollkommen falsches Bild der Menschen stützt. So, ich habe genug für heute und gehe, und Sie können gerne wieder eine Woche wegstreichen, weil ich mich so unmöglich benommen habe!“

Die Tür schlägt hinter mir zu. Auf dem Gang stehen fünf Menschen, die offenbar alle meine eindringliche Rede mit angehört haben. Ein Mann beginnt zu applaudieren. Auf dem Weg nach draußen klopfen mir zwei weitere auf die Schulter.

***

„Frau Schönborn?“

„Hmmm?“

„Was ist denn jetzt mit dem Bild in Ihrem Lebenslauf? Nehmen wir da mal ein etwas Professionelleres?“

„Ja, ist gut.“

„Dann war es das erst mal. Sie bekommen eine Einladung für den nächsten Termin. Alles Gute Ihnen!“

Im Foyer der Agentur für Arbeit kippe ich eine Topfpflanze auf den Teppich.

 

  1. Danke für diesen Artikel. Es ist also nicht nur die vielzitierte “Unterschicht” die mit den modernen Methoden der Arbeitsvermittlung so ihre Not hat, sondern auch Menschen mit einem sehr hohen Bildungsstand verzweifeln an der deutschen Bürokratie. Ein Armutszeugnis für unser System. Vor allem, weil man dann ja erst mal sanktioniert und dann in die Schublade “arbeitsscheues Gesindel” einsortiert wird.

    Das Problem beginnt ja eigentlich schon mit dem Namen der Behörde. “Agentur für Arbeit” oder “Jobcenter”. Alles dreht sich um die Arbeit oder wir stellen den Job in den Mittelpunkt und nicht den Menchen.

    Besonders traurig finde ich, dass man wohl als “Startup” nur gefördert wird wenn man einen bombensicheren Business-Plan hat und auch sonst wohl mächtig buckelt um kein Missfallen zu erregen. Einfach nur traurig.

    Fühle Dich umarmt und ich wünsche Dir sehr viel Kraft für die Selbständigkeit.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke, mein Lieber! Ja, ich kann Dir nur zustimmen. Außer bei einem Punkt: Mir hat auch mein sehr brauchbarer Businessplan nichts genützt, weil ich nicht in die gesetzte Frist “fiel”. Ein langer Brief an die Agentur fand damals vermutlich keine Leser, hat mich aber zumindest etwas beruhigt.

      Auch bei diesem Post muss ich einschränkend sagen: Zum Glück bin ich auf die Förderung nicht unbedingt angewiesen – zwar wird das Geld auch bei uns langsam knapp, aber ich muss nichts überstürzen oder beim Staat um Geld für meine Idee flehen. Andere müssen quasi ab dem ersten Tag ihrer Selbstständigkeit verdienen, vielleicht sogar Kinder unterhalten. Da ist eine Nicht-Förderung auch schnell mal das Todesurteil für eine mehr als brauchbare Geschäftsidee.

      Alles sehr traurig, bei Licht betrachtet. :/

  2. Bea

    Danke dafür. Ich kenne das leider zu gut.

  3. Etwas ähnliches in Grün erlebe ich auch gerade. Und die Gefühle, die Du da aufschreibst, kenne ich eins zu eins. Danke für den Text.

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